Können Rock und Heavy Metal Krankheiten heilen? Diese Frage klingt weit hergeholt, aber schon jetzt wissen die Fachspezialisten, dass der Einsatz dieser Genres in der Musiktherapie zur Verbesserung des psychischen Zustandes beitragen kann. Xenia Hatzenbiller hat für uns ein wenig recherchiert.
Rockmusik wurde zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA zu therapeutischen Zwecken verwendet, um die kriegstraumatisierten Soldaten zu behandeln. Dabei hat man herausgefunden, dass drei Komponenten dieser Musik – der harte Rhythmus, die monotone Wiederholung sowie Lautstärke und Frequenz, die menschliche Psyche und den Körper auf verschiedene Arten beeinflussen. Jedoch nicht immer mit einer positiven Wirkung auf den Hörer.
Spätere amerikanische Studien in den frühen 90ern griffen diesen Ansatz erneut auf, doch diese Forschungen ergaben, dass das ständige Hören von Metal und Hardrock unter anderem Aggressivität, Wut, Angstzustände und Depressionen hervorrufen kann. Etliche Psychologen in Europa und Amerika rieten daraufhin davon ab, diese Musik zu hören und zu spielen, weil sie als gesundheitsschädlich galt.
Erst 1996 löste ein Mann diesen Mythos auf. Jeffrey Arnett ist Professor der psychologischen Fakultät an der Clark University in Massachusetts. Er führte ein Experiment mit 108 jungen Heavy-Metal-Fans durch und präsentierte anschließend ein völlig neues Ergebnis: Arnett stellte nämlich fest, dass das tägliche Hören dieser Musikgenres das Leben der Teenager in zwei Aspekten positiv beeinflusste. Zum einen gaben die Probanden an, mit Hilfe der Musik in bestimmten Situationen, Wut und Stress bekämpfen zu können und dadurch zu innerer Ruhe zu gelangen. Zum anderen rief bei Vielen das Hineinversetzen in die imaginierte Welt der Lyrics eine Art Katharsis hervor und befreite die Hörer von negativen Emotionen. (J. Arnett, 1996, "Metalheads: Heavy Metal Music And Adolescent Alienation", Westview Press) Aus Arnetts Experiment resultierte, dass Heavy Metal trotz des schweren Klangs eine harmonische und entspannende Wirkung haben kann. Nicht zuletzt wegen der Texte, welche die schönen Seiten des Menschseins und die Hoffnung auf eine positive Zukunft beschreiben.
Mit diesen Erkenntnissen vor Augen, fing man an, Rockmusik und Metal in die psychiatrische Behandlung von krebskranken Menschen einzuführen und dort auszutesten. Als erste Ergebnisse dieser Praxis präsentierte man zwei Patientinnen, die vor der Musiktherapie auf keine weiteren Methoden reagierten und deren psychischer Zustand immer schlechter wurde: Einer 30-jährigen Frau wurde erlaubt, neben klassischer, beruhigender Musik ihren geliebten Death Metal zu hören. Nach einiger Zeit stellte man bei ihr die ersten positiven Wirkungen fest. Sie berichtete, dass die Musik von "Children of Bodom" und "Cyclone Temple" ihr zeige, wie hektisch und unharmonisch ihr Leben vor der Erkrankung war. Im Laufe dieser Metal-Therapie wurde die Patientin immer kommunikationsfreudiger und fand schließlich Anschluss zu Menschen mit demselben Musikgeschmack und derselben Einstellung. Eine andere krebskranke Frau fand im Punkrock die Motivation zum Leben. Sie erzählte, dass sie trotz der aggressiven Musik in den Texten ihre innere Ruhe fände und dadurch lerne, mit der Wut auf die Krankheit umzugehen.
Bis jetzt ist immer noch umstritten, ob Rock und Metal als Genres für die Musiktherapien geeignet sind – aktuelle Studien liefern widersprüchliche Resultate. Was dem Einem gut tut, kann dem Anderen schaden. Doch zweifellos steht fest, dass Klänge und Rhythmen positiven Einfluss auf Körper und Psyche haben. Es kommt schlicht auf den individuellen Geschmack an. Musik hilft gegen Kummer, Stress oder einfach gegen Langeweile. Diese Besonderheit erkannte und praktizierte die Menschheit bereits in der frühen Steinzeit. Musik eben kein Placebo-Effekt ist. Sie ist ein wahres Heilmittel, das ganz einfach und ohne ärztliches Rezept zu bekommen ist. (xh)