Rockmusik will Tradition in Frage stellen, doch auf Konzerten greifen meist klassische Rollenbilder: Während Männer auf der Bühne rocken, nehmen Frauen die Groupie-Rolle ein. Die Riot Grrrl-Bewegung stellte dieses Klischee erstmals in den 90ern in Frage. Doch haben die Riot Grrrls von damals wirklich etwas für die Frauen von heute verändert? Bettina Taylor hat nachgeforscht.
"Revolution Girl Style Now!" Mit diesem Motto protestierten Kathleen Hanna von Bikini Kill und Jen Smith von Bratmobile nicht mehr mit faden Sachargumenten gegen Sexismus. Auf der Bühne kleideten sie sich Riot Grrls bewusst wie "Huren", malten sich mit Lippenstift "Slut" auf den Bauch und eroberten sich so negative Zuschreibungen zurück. Der sogenannte Dritte-Welle-Feminismus war geboren und provozierte auch Frauenrechtlerinnen der ersten Generation.
Die drei R in Riot Grrrls zeigten mit einem Knurr-Laut, dass "Girls" auch alles andere als niedlich sein können. Ihr Auftreten vermittelte eine weibliche Sexualität, die aufreizend und aggressiv war. Bikini Kill und Le Tigre gehörten zu den Riot Grrrl-Bands der ersten Stunde. Wenig später folgten Heavens To Betsy oder die Babes In Toyland.
Mit ihrer Provokation wollten die Riot Grrrls schocken und Spaß haben. Sie verfolgten aber auch politische Ziele: Musikerinnen sollten in der Männerdomäne Rock als gleichberechtigte Künstlerinnen statt Objekte wahrgenommen werden. Die Punkerinnen hatten es satt, passive Protagonisten zu sein, sondern nahmen die Instrumente selbst in die Hand und sangen über Themen, die sie bewegten – von überzogenen Körperbildern, Mutterschaft bis hin zu häuslicher Gewalt. Nachdem sich der Kern der Riot Grrrl-Bewegung um Seattle herum formierte, formulierten die Anhängerinnen bald auch ein Manifest, das in plakativen Sätzen wie "...we are angry at a society that tells us Girl = Dumb, Girl = Bad, Girl = Weak" kämpferisch daherkam.
Die Riot Grrrls forcierten ihre Bewegung aber nicht nur musikalisch, sondern auch medial. In aller DIY-Manier publizierten sie sogenannte Fanzines – die laienhaften Fan-Zeitschriften, gaben Frauen ein Forum, in denen sie Frust und Fotografien austauschten. Die Riot Grrrls hatten neben "Macho-Punkrockern" aber auch mit Mainstream-Medien zu kämpfen. Diese stellten sie als aggressiver Haufen dar und vereinfachten ihre Botschaften, indem sie die Berichterstattung auf wenige Personen beschränkten. Was zu Anfang wie eine Bombe in die US-Punkszene einschlug, mutierte, wie viele Subkulturen, bis Mitte der 90er zu einer Modeerscheinung.
Obwohl die Hochphase der Riot Grrrls nur kurz währte, riss ihr Freigeist Geschlechter-Grenzen ein. Der Fugazi-Song "Suggestion" beschreibt aus Frauen-Sicht, wie schmerzhaft Objektivierung sein kann. Kurt Cobain ist hier das prominenteste Beispiel. Mit dem Statement "The future of Rock belongs to women", bekannte er sich zu den Riot Grrrls.
Welche Bedeutung hat Cobains Zukunftsprognose heute? Lady Gaga aber auch Beth Ditto betonen, dass die Bewegung sie prägte. Deutlicher kommt das Riot Grrrl-Erbe bei der Band Pussy Riot zum Vorschein, auch wenn sie mehr mit Kreml-Kritik Schlagzeilen machen. In diesem Zusammenhang führen auch sogenannte Femen mit Oben-Ohne-Aktionen provokante Protest-Techniken weiter. Andere ehemalige Riot Grrrls verwirklichen ihre Ziele, indem sie in Girl Rock Camps weibliche Nachwuchskünstlerinnen fördern.
Der ganze Aktivismus zeigt jedoch, dass Rockmusikerinnen nach wie vor nicht den gleichen Stellenwert wie ihre männlichen Kollegen haben. Gleichberechtigung hat auch immer etwas mit Gleichgültigkeit zu tun. Warum ist es erwähnenswert, wenn eine Frau zur Gitarre greift? Künstlerinnen wie St. Vincent oder Brody Dalle sind da schon weiter und konzentrieren sich lieber auf Musik statt Geschlechter-Kämpfe. (bt)
Zum Gucken: In der Doku "Don't Need You - The Herstory of Riot Grrrl" kommen die Riot Grrrls zu Wort.
Zum Lesen: "Riot Grrrl revisited" von Katja Peglow und Jonas Engelmann erzählt die Riot Grrrl-Geschichte.
Zum Hören: Auf Last-fm kann man sich die wichtigsten Riot Grrl-Bands auf einem Kanal anhören.