Weihnachten ist auch die Zeit von endlosen Best Of's und Remakes. So hauen Queen in diesen Tagen nach ihren Greatest Hits 1-3 nun zur Abwechslung mal ihre "Absolute Greatest" auf den Markt, und auch von Nirvana gibt es diesmal Neues. Zum einen eine "digitally remastered deluxe edition" ihres 1989er Debuts "Bleach". Zum anderen eine ebenfalls überarbeitete Fassung ihres Live-Auftritts beim englischen Reading-Festival am 30.08.1992. Und diese DVD, "Nirvana – Live at Reading", hat sich Jan Schütz für euch angesehen:
Nach gründlicher Begutachtung kann ich nun verstehen,warum dieser Auftritt zu den besten Performances von Nirvana zählt! Nachdem bereits seit vielen Jahren ein Bootleg dieses Konzerts existierte und im vergangenen Jahr auch eine erste offizielle Veröffentlichung herausgebracht wurde, ist die Neuauflage wohl die Krönung des Ganzen. Digital bearbeitet hat der geneigte Fan die Auswahl zwischen drei verschiedenen Audioformaten: DTS 5.1, Dolby 5.1 und das "normale" Dolby Stereo. Aber selbst letzteres hat mit meinen bescheidenen PC-Boxen schon eine gepflegte Live-Atmosphäre in meine Studentenbude gezaubert. Ansonsten ist das Menü der DVD genauso schlicht gehalten wie die Performance selbst: Spartanisch und funktionell. Keinerlei Bonusmaterial, lediglich die komplette Set-List des Konzerts kann man sich ansehen.
Und diese deckt sich komplett mit der ihres Megasellers "Nevermind" und wird ergänzt durch "Bleach"-Kracher wie "Blew" oder dem später in der Unplugged-Version bekannt gewordenen "About a Girl". Von ihrem damals noch in den Kinderschuhen steckenden dritten (und letzten) Album "In Utero" finden sich drei weitere Songs auf der DVD. Einen davon – "All Apologies" – widmete Kurt Cobain beim Auftritt in Reading seiner damals gerade geborenen Tochter und seiner Frau Courtney Love. Der Moment, als Kurt das Publikum bittet, seiner durch die schlechte Presse verunsicherten Frau zu sagen, dass es sie liebt, gehört für mich zu einem der denkwürdigsten Augenblicke dieses Konzerts. "Courtney, we love you" brüllte die Menge und der Nirvana-Frontmann dankte es mit einem ehrlich gerührten Lächeln.
Und genau diese Ehrlichkeit zieht sich durch das gesamte Konzert. Man weiß zwar nicht so recht wie man die merkwürdig-dürftigen Ansagen deuten soll, aber Teilnahmslosigkeit kann man sicherlich keinem der Drei ankreiden. Ich habe selten jemanden gesehen, der sein Schlagzeug so bearbeitet, ja regelrecht verprügelt wie Dave Grohl während dieses Auftritts. Genauso Kurt, der sich scheinbar getrieben von seiner eigenen Energie die Seele aus dem Leib schreit. Während des grandiosen Finales (ein Jimi-Hendrix-Cover von dessen Woodstock-Version der US-Nationalhymne) malträtiert er seine Gitarre derartig, dass die Kamera deutliche Blutspuren auf dem Instrument einfängt. Ich habe selten ein Konzert erlebt, das mich so mitgerissen hat, ohne dass es auf besondere Effekte, Lichtshows, Banner oder sonstiges bauen konnte. Hier kommt einfach die rohe, ungestüme und gleichzeitig verstörende und hypnotisierende Wirkung einer Band rüber, wie man es vielleicht nie wieder erleben wird.
Man kann von dieser Neuveröffentlichung genau zu diesem Zeitpunkt halten, was man will. Doch dieser Auftritt, der im Übrigen der erste komplett aufgezeichnete Live-Auftritt von Nirvana ist (mit Ausnahme der Unplugged-Session), hat das Zeug ,ein Meilenstein zu werden, und ist ein Muss für jeden Fan.