Erfolgreiche Debüt-Alben sind Fluch und Segen zugleich. Die Band Interpol ist für dieses Phänomen ein Paradebeispiel. Selbst dreizehn Jahre nach der ersten LP, muss sich nun auch ihr fünftes Werk El Pintor den ewigen Vergleich mit dem ersten Erfolgsalbum Turn on the Bright Lights gefallen lassen. Ironischerweise werfen die ideenlosen Rezensenten Interpol gerade das vor: Den New Yorkern würde nichts Neues mehr einfallen. Dabei greifen sie nicht ohne Grund, auf Altbewährtes zurück. Bettina Taylor weiß warum:
Die Vorgeschichte des aktuellen Albums lässt auf eine Schaffenskrise schließen: Als nach der mäßig wahrgenommenen vierten LP Interpol Bassist Carlos "D" Dengler der Band 2010 den Rücken kehrte, war erst einmal Verschnaufpause angesagt. Immerhin hatte Dengler, der unter anderem verantwortlich für Meilensteine wie "The Heinrich Maneuver" ist, den Sound von Interpol wesentlich mitgeprägt. Während in den meisten Bands der Bassist eher eine Nebenrolle spielt, hinterließ Dengler ein kreatives Loch, das so leicht nicht zu füllen war. Somit widmeten sich die restlichen drei Band-Mitglieder erst einmal ihren Solo-Projekten. Während Sänger Paul Banks mit Hip Hop-Mixtapes genretechnisch auf Entdeckungsreise ging, legte Daniel Kessler den Begriff Solo-Projekt etwas weitläufiger aus und eröffnete ein Fisch-Restaurant.
Zum Glück widmet sich Kessler bald wieder mehr seiner Gitarre, statt der Gastronomie. Einen Nachfolger für Dengler haben sich Interpol jedoch gespart, denn den Bass übernimmt nun auch Banks. "El Pintor" ist nicht nur das spanische Wort für Maler (ein weiteres Solo-Unterfangen von Banks), sondern bietet sich als Anagramm des Bandnamens, geradezu als Albumtitel an. Auch diesmal malen Interpol mit ihrer Klangkunst aus harmonischen Gitarren und akzentuierten Rhythmen theatralische Bilder. Von ihren Solo-Projekten bringen sie aber ein paar neue Farben mit: Der ungewohnte Synth-Sound bei "Same Town New Story" könnte auf Banks neuste Hip Hop-Einflüsse zurückzuführen sein. Ein durchgehender Gitarren-Loop sorgt dabei für Ohrwurm-Charakter. Meistens greifen Interpol jedoch auf bekannte Stärken zurück. Bei "Ancient Ways" vereinnahmen voranschreitende Riffs und Banks voluminöse Stimme, die zeitweise in Falsett ausartet, die Hörer. In "My Desire" wird diese Theatralik mit Zeilen wie "Be my desire, I’m a frustrated man" auch lyrisch weitergeführt. Trotz der interessanten Gitarrenmelodie, die hier mit Banks um die Wette singt, verliert sich die Stimmung des Songs gegen Ende aber in dichte Trägheit. "Anywhere" ist dagegen nicht nur ein LP-Highlight, sondern würde mit seinem kontinuierlichen Stimmungsaufbau und hartem Rhythmus auch bei Live-Mengen gut ankommen. "All The Rage Back Home" schlachtet dies genauso aus, ist jedoch umso packender.
Den Spagat zwischen Aggression, Melancholie und Romantik haben Banks, Kessler und Fogarino auch als Trio elegant vertont. Dennoch ist die Kritik der Ideenlosigkeit von El Pintor nicht ganz von der Hand zu weisen. Die dichten Klangteppiche aus abgehacktem Bass, kraftvollem Schlagzeug und harmonischen Gitarrenmelodien gleichen sich so sehr, dass Anfang und Ende eines Songs manchmal schwer voneinander zu unterscheiden sind. Aufgrund der Identitätskrise, welche El Pintor voranging, ist es jedoch gar nicht selbstverständlich, dass überhaupt neues Material zustande gekommen ist. Beim nächsten Mal dürfen Interpol-Fans anspruchsvoller sein. (bt)
Übrigens: Interpol machen auf ihrer Tour auch in Deutschland Halt. Details findet ihr auf der Band-Homepage.