Produzent Jack Endino ist sich sicher: Nirvanas Debutalbum "Bleach" gehört zu den wegweisenden Grunge-Alben! Ganze 20 Jahre ist das jetzt her, und pünktlich zum Jubiläum gibt's davon auch eine feine Neuauflage. Aber wie war das eigentlich damals? Wie fing alles an, und woher kam dieses ominöse "Grunge" überhaupt? Inspiriert von besagter Neuveröffentlichung und dem Revival der karierten Flanellhemden – ohne so eines war man damals nur ein halber Grunger – hat sich Jan Schütz mal in eine Zeitmaschine gesetzt und ist dahin gereist, wo alles seinen Anfang nahm: Ins Seattle der 80er.
Moment, wieso Achtziger? Was hat das mit Grunge zu tun? In Sachen Rock gab's da doch "nur" Metallica, AC/DC oder die Haarspray-Rock-Fraktion à la Bon Jovi oder Whitesnake. Tja, denkste. Ganz im äußersten Nordwesten der USA gab es eben jene mittelgroße Stadt, in der sich seit einigen Jahren etwas zusammenbraute. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sicher noch niemand, dass von dort zwei Jahre später eine musikalische Revolution losgetreten werden würde, die heute zu einer der größten der Pop-Kultur des 20. Jahrhunderts zählt. Idyllisch grün gelegen im US-Bundesstaat Washington an der Grenze zu Kanada, gehörte Seattle damals noch (musiktechnisch) zur tiefsten Provinz, in die sich nur Trucker, Holzfäller oder Charles Manson auf Erholungstrip verirrten (das Leben als Massenmörder und Sektenführer ist eben auch kein Kindergeburtstag). Aber genau diese Abgeschiedenheit führte dazu, dass sich in der Stadt und ihrer Umgebung vor allem ab Anfang der 80er Jahre eine eigene kleine aber feine Szene mit zahlreichen Clubs, lokalen Plattenfirmen und Bands aufbauen konnte. Völlig ungestört von der Außenwelt – fast so wie das kleine gallische Dorf!
Ein Grund für die Kreativität soll angeblich das schlechte Wetter und die trostlose Einöde der Gegend gewesen sein. So nach dem Motto "was sollen die Kids anderes machen als drinnen hocken und auf die Kacke hauen?" Fraglich, ob es nur daran lag. Ostfriesland oder Sachsen-Anhalt gelten ja nun auch nicht gerade als Kreativschmiede der deutschen Rockmusik ... Würde man Mitglieder von Bands wie Malfunkshun, den Melvins, Mudhoney, Coffin Break, den Mono Men, The Gits oder Sea Weed fragen, würden sie wahrscheinlich alle das gleiche antworten: "Wir wollten einfach das machen, was uns Spaß macht – und das gemeinsam." Denn die Szene war so eng miteinander verbunden, dass jeder jeden irgendwie kannte. Obwohl jede Band ihren eigenen Stil hatte, fühlten sich die meisten im Großen und Ganzen damals noch dem Punk verpflichtet. Hauptsache laut, schräg und wild.
Ein Kurt Cobain, der auf der Bühne einen shoulder spin abzieht (die Gitarre in der Hand versteht sich!), der Frontmann der Mono-Men mit einer Indianerhaube aus Six-Packs auf dem Kopf, alles ging. Keiner dachte so richtig daran, berühmt zu werden. Klingt wie ein Klischee, klar, aber so war es eben. Nicht, dass sie es nicht wollten, aber Washington State war nun mal nicht Kalifornien. Und sie fühlten sich wohl in ihrer eigenen kleinen Szene. So ging alles über mehrere Jahre seinen gewohnten Gang, bis irgendwann zwei Jungs namens Bruce Pavitt und Jonathan Poneman beschlossen, Kapital aus der Vermarktung der Bands zu ziehen. Aus einem Fanzine wurde ein Label: Sub Pop. Der Name, der heute als Synonym für Grunge und seinen kommerziellen weltweiten Erfolg steht. Wenn Seattle eine Zeit lang zum Bethlehem des Rock wurde – wie die Zeitschrift Spin im Jahr 1992 einmal schrieb – dann war Sub Pop der Stall, wo die Krippe stand.
In der nächsten Ausgabe lest Ihr, wie die Welle Fahrt aufnahm und Grunge sich anschickte, die Welt zu erobern.