Nachdem es im ersten Teil unserer kleinen Zeitreise um die Vorgeschichte des Grunge ging, gibt Jan Schütz nun "Budder bei die Fische". Wie ging es nach Gründung von Sub Pop weiter?
Jonathan Poneman und Kompagnon Pavitt heckten einen Plan aus: Sie wollten eine Duftmarke setzen, die die Schreiberlinge der Musikpresse wie einen Schwarm Schmeißfliegen anlocken sollte. Ihr Rezept: Man picke sich handverlesene Bands aus dem bunten Musik-Salat Seattles heraus und beginne damit, diese als eigene kleine Untergrund-Szene zu verkaufen. Dabei achte man stets darauf, nur die Kapellen zu nehmen, die auch zum selbst gewählten Image des Labels passen. Und das waren für deren Häuptlinge nur solche, die irgendwann zwischen Mitte und Ende der 80er damit angefangen hatten, ihre Akkorde einen Tick düsterer und getragener klingen zu lassen.
Und siehe da, der Plan ging auf. Allerdings nicht ohne eine gewisse Starthilfe. Extra eingeflogen stürzte sich ein gewisser Everett True, der seine Brötchen beim englischen "Melody Maker" verdiente, im März 1989 ins Konzertgetümmel der Stadt. Zurück auf der Insel schrieb er eine begeisterte Rezension über das, was er für die wahre Musikszene der Stadt hielt – und gab dem Kind einen Namen: Grunge.
Der neue Spross zog die Blicke der so genannten Generation X auf sich, und bei Sub Pop klingelte es gewaltig im Geldbeutel. Gleichzeitig wechselten Lokalmatadoren wie Soundgarden, Alice In Chains oder Screaming Trees in die Major-League und unterschrieben Verträge bei Atlantic oder Sony. Alle waren zufrieden und Seattle mauserte sich allmählich zur potentiellen Karrierestation. Die Aufnahmestudios und Proberäume waren bald so ausgebucht wie die Hotelliegen auf Malle kurz nach acht.
Einer, der bei der Schlacht um die besten Plätze mitmischen wollte, war ein gewisser Kurt Cobain aus dem 130 km entfernten Nest Aberdeen. Befreundet mit der Lokalgröße Melvins ergatterte er tatsächlich einen der heiß begehrten Aufnahme-Slots bei Jack Endino für sich und seine Band. Das Tape, das am Ende des Tages bei Endinos Kumpel Poneman auf dem Tisch lag, steht heute bei uns unter dem Namen "Bleach" im Regal. Im Laufe der nächsten zwei Jahre wurde das anfängliche Geplätscher immer mehr zu einer kontrollierten Welle.
Das Beben kam im Jahr 1991. Mit der Veröffentlichung von Nirvanas "Nevermind" im September und dem MTV-Airplay von "Smells Like Teen Spirit" mutierte die Welle buchstäblich über Nacht zu einem weltweiten Tsunami mit Seattle als Epizentrum. Jeder, der sich nur halbwegs als Musikjournalist sah, saß bald im Flieger über den großen Teich. Und jeder, der in der Stadt in den letzten Jahren eine Gitarre in der Hand gehalten hatte, wurde von MTV, Rolling Stone & Co vors Mikro oder die Kamera gezerrt. Grunge lief zur Hochform auf und wurde plötzlich gesellschaftsfähig. Neben Nirvanas gesamten Repertoire wurden die Playlists in den Clubs von New York, Bottrop oder Tokio von Songs wie "Jeremy", "Them Bones" oder "Plush" bestimmt. Und deren Interpreten, Bands wie Pearl Jam, Alice In Chains oder Stone Temple Pilots wurden ebenfalls zum Synonym des "Seattle Sound". Dabei kamen Letztgenannte nicht einmal von dort, sondern aus dem weitentfernten, sonnigeren San Diego! Aber die Schublade konnte gar nicht groß genug sein. Alles was hart, rockig und irgendwie schmutzig klang, musste hinein. Selbst eine eigene Sprache gab es. Nun ja, es gab sie nicht wirklich, aber ein bisschen Spaß bei all dem Medienzirkus konnte man den Betroffenen wohl kaum verübeln...
Das Ganze ging sogar soweit, dass Designer-Ausgaben der eigentlich rein zweckmäßigen Klamotten der Bands zu Fabelpreisen in den Schaufenstern hingen. Der "Grunge-Look" bestand aus den bereits erwähnten karierten Flanellhemden (der Nordwesten der USA ist Holzfällerland), zerrissenen Jeans - und im Extremfall "long-johns" (weil's da ziemlich kalt werden kann). Für alle, denen das nichts sagt: Das waren die Dinger, die jeder von uns wohl liebend gerne spätestens zur Einschulung verbrannt hätte: lange Unterhosen! Glücklicherweise sind uns die bis heute erspart geblieben. Wollen wir mal hoffen, dass dies trotz Reunion von Alice in Chains und Soundgarden auch so bleibt. Denn seien wir mal ehrlich: Die Teile sehen doch einfach nur peinlich aus!