Was hat das 125-jährige Bestehen von Mercedes Benz mit Rockmusik zu tun? Zugegeben, diese Liaison erscheint tatsächlich etwas abwegig. Aber die 30.000 Fans, die sich zum "Sternstunden"-Festival auf dem Stuttgarter Schlossplatz versammelten, wussten ziemlich genau, warum sie gekommen waren. Zur Feier seines Jubiläums hatte der Autobauer nämlich zwei absolute Hochkaräter der internationalen Musikszene geladen: 30 Seconds To Mars und Placebo. Für Felix Klein schrie das förmlich nach dem ultimativen "Battle of the Bands"! Deshalb schnürte er schleunigst die Chucks, machte den Tank voll und düste gen Süden. Nur damit er euch heute mit gutem Gewissen berichten kann, welche der beiden Bands die bessere ist:
Wer das musikalische Werk von 30 Seconds To Mars und Placebo zumindest im Ansatz kennt, der weiß, dass jede der beiden Bands einen einzigartigen Musikstil im facettenreichen Dunstkreis des Alternative Rocks entwickelt hat. Weil ich aber ein erbitterter Gegner von Genre-Schubladen bin, und weil der individuelle Stil einer Band als Qualitätskriterium niemals für sich stehen kann, will ich mich bei der Bewertung dieser beiden Rockgrößen nicht darauf konzentrieren, was sie spielen, sondern wie sie es tun.
Der Band-Wettstreit zwischen 30 Seconds To Mars und Placebo ist auch ein Duell zweier charismatischer Frontmänner, von denen jeder auf seine ganz eigene Art den Zugang zu seinem Publikum sucht. Für Placebo-Sänger Brian Molko scheint bei der Interaktion mit den Fans das Motto "Weniger ist mehr!" zu gelten. Dank seiner geheimnisvollen destruktiv-melancholischen Aura gelingt es ihm, das Publikum auch ohne spektakuläre Showelemente in seinen Bann zu ziehen.
Mit Jared Leto – seines Zeichens Sänger UND erfolgreicher Hollywood-Schauspieler – stand ironischerweise der exakte Gegenpart Molkos nur wenige Stunden vor ihm auf derselben Bühne. Die Show von 30 Seconds To Mars ist voll und ganz auf Letos Entertainment-Talent zugeschnitten. Er ist zuständig für Kostümierung, Tanzeinlagen, die Stimmung des Publikums und die Auswahl der gefühlten einhundert Fans, die am Ende des Konzerts an seiner Seite "Kings and Queens" und "Closer to the Edge" mitsingen dürfen. Bitte versteht mich nicht falsch, das Live-Konzept von 30 Seconds To Mars hat dieselbe Daseinsberechtigung wie das von Placebo. Doch wenn Songs, auf die ich seit Wochen mit Schmerzen warte, mittendrin von minutenlangen Monologen des Frontmanns unterbrochen werden, stellt sich in meiner Magengegend dieses flaue Gefühl ein, das sagen will: "Davon hatte ich mir mehr erwartet!". Dass der 30 Seconds To Mars-Funke an diesem Abend nicht so recht auf mich überspringen wollte, lag darüber hinaus vermutlich auch an einem, im Vergleich zum Placebo-Gig, überraschend bescheidenen Sound. In den emotionalsten Passagen der bekanntesten Lieder der Band schien Jared Letos Stimme mehr als nur einmal wie vom Mikrofon verschluckt. Dass die meisten Sänger von Bands, die ohne Pause rund um den Globus touren, irgendwann ihre Stimme schonen müssen, ist mir klar – wenn es so offensichtlich geschieht, finde ich’s aber trotzdem schade.
Für Placebo dagegen war Stuttgart erst die zweite Live-Show im gesamten Jahr 2011 und dementsprechend energiegeladen legten die Herrschaften auf der Bühne los. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich vor diesem Konzert kaum mit der Band und ihrem Schaffen auseinandergesetzt hatte, und deshalb nur wenige ihrer Titel wirklich kannte. Doch an diesem Abend haben sich Brian Molko & Co. in mein Herz gespielt. Meinen Mund, der irgendwann zwischen dem ersten und zweiten Lied aufgeklappt sein musste, kriegte ich erst nach der letzten Zugabe und mit großer Anstrengung wieder zu. Auf gut Denglisch: ich war total geflasht! Nicht nur aus musikalischer Sicht lieferten Placebo eine echte Wahnsinnsshow ab. Der Band und ihrem (nur auf den ersten Blick so unscheinbaren) Frontmann gelang an diesem Abend auch ein atmosphärisches Meisterstück. Die latent depressive Grundstimmung, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk der Londoner zieht, war live noch viel intensiver zu spüren als auf jeder Aufnahme. Fans, die aufgrund der limitierten Live-Gelegenheiten in diesem Jahr aus ganz Europa nach Stuttgart gekommen waren, wurden für ihre Strapazen mit allen großen Hits wie "Every You, Every Me", "The Bitter End" und "Song to Say Goodbye" entschädigt. Schlussendlich waren es ihre begeisterten, minutenlangen Ovationen, die Placebo eindeutig zum verdienten Sieger dieses Battle of the Bands kürten. (fk)