Die Rolling Stones feiern in diesem Jahr 50jähriges Bestehen, die Autorin ist eine Dekade jünger und ziemlich ratlos, wie sie sich diesem Phänomen nähern soll. Denn wie beschreibt man etwas, das zeitlebens für ein gewisses Grundrauschen gesorgt hat, halt immer irgendwie da war, aber es nie in die erste Bewusstseinsreihe geschafft hat, geschweige denn, einen speziellen Platz im Herzen einnimmt? Mit anbiedernder Heldenverehrung – wie derzeit in praktisch allen Feuilletons? Eher nicht. Mit einer Sonderausgabe? Wäre eine gute Idee gewesen, kam aber leider zu spät.
Abgesehen von den Tatsachen, dass sich einst natürlich auch um meinen Busen die Stones-Zunge spannte, ich die wesentlichen Hits einigermaßen mitsummen könnte und ich mich erst kürzlich über ein lustiges Foto von Mick Jagger im fliederfarbenen Anzug bei der Hochzeit seiner Tochter amüsiert habe, lassen mich die rollenden Steine ziemlich kalt. Was vermutlich daran liegt, dass sie schlicht schon immer da waren. Ähnlich wie die Queen, die aber nochmal zehn Jahre länger im Amt ist. Und analog zur Monarchin und ihrer schrecklich netten Familie, interessierten mich bei den Stones schon immer eher ihre spektakulären Skandale und Skandälchen, mit denen sie bis heute zuverlässig die Klatschspalten füllen.
Musikalisch? Tja ... Fangen wir anders an: Es gibt eine Handvoll Songs, die ich mag, aber es ist keine persönliche Hymne dabei, die mir wirklich etwas bedeuten würde – und selbst die ehrfurchtsstarren Feuilletonisten wissen nicht allzu viel Bahnbrechendes über das kreative Schaffen der älteren Herren zu berichten. Meine frühe musikalische Sozialisation sah in etwa so aus: Die Schlümpfe und ABBA! Später kamen Eurythmics und Tears for Fears dazu. Und beinahe noch peinlicher als die Schlümpfe sind meine ersten Rock-Helden: Bon Jovi und Europe. Lieber Himmel, was war ich einst in Joey Tempest verknallt ... Die Stones dagegen, blieben, was sie immer waren: ein Hintergrundrauschen. Und ganz ehrlich, wer von den Kerlen hätte einem 80er-Jahre-Teenie schon als Projektionsfläche für die überbordenden Hormone dienen können? Außer Bill Wyman vielleicht – aber da war es ja eher andersherum. Nein, die 70er und 80er tangierten mich Stones-technisch überhaupt nicht.
Mitte der 90er Jahre hätte es anders werden können. Da war ich nämlich tatsächlich auf einem ihrer Konzerte! 1994 hatten die Briten ihr 20. Album "Voodoo Lounge" veröffentlicht und dies zum Anlass genommen, auf die gleichnamige Welttournee zu gehen (übrigens die bis dato erfolgreichste Rock-Tour der Welt!). Den Konzertankündigungen ging reichlich mediales Säbelrasseln voraus. Würde es die letzte Konzertreise von Mick & Co. werden? Ja drohte der Band nicht überhaupt das Aus? Schließlich hatte erst ein Jahr zuvor Bill Wyman die Combo verlassen. Dies alles nahm ich selbstverständlich zur Kenntnis, jedoch ohne das unwiderstehliche Bedürfnis zu verspüren, bei diesem mutmaßlich historischem Event dabei sein zu müssen. Dass ich am 3. August 1995 dann trotzdem im Münchner Olympiastadion stand, habe ich meiner Mutter zu verdanken. Die ist zwar alles andere als eine Verehrerin ihrer Altersgenossen, war aber im Frühsommer 1995 zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In einer Shopping-Passage nämlich, in einem Geschäft, das just neben einer Ticketverkaufsstelle beheimatet war. Aufmerksam geworden durch die hysterische Geschäftigkeit, die dort plötzlich ausgebrochen war, stellte sie sich in die Reihe, fragte als sie dran war nach dem Grund der Aufregung, und kaufte nach der Antwort "Wir haben ein letztes Kontingent Stones-Tickets bekommen!" vier Eintrittskarten. Ich glaube, es erschien ihr damals irgendwie als vielversprechende Investition. Jedenfalls war ich dann also mit meinem Bruder und zwei Freundinnen bei diesem Gig dabei.
Was soll ich sagen? Es war schon ziemlich cool. Ich war ernsthaft beeindruckt, von der Energie, die diese älteren Herrschaften verströmten, und die Stimmung war an diesem perfekten Hochsommerabend (ja, Kinder, damals gab's noch tolles Wetter im Sommer!) einfach grandios. Ich habe mir dann sogar die CD gekauft und sie in den Tagen danach einige Male pflichtbewusst angehört. Aber sonst? Nachhaltige Begeisterung sieht jedenfalls anders aus. Und auch das kurzfristige, euphorische Gefühl, einem der Mondlandung nicht unähnlichen Ereignis beigewohnt zu haben, ließ recht schnell nach. Zumal sich alle Trennungsgerüchte als eben diese herausstellten. Die Rolling Stones hatten es nämlich mitnichten vor, sich zu trennen! Stattdessen turnen sie nach wie vor auf den größten Bühnen der Welt herum.
Vielleicht gehe ich nächstes Jahr mal wieder hin. Für 2013 haben sie wieder eine Reise angekündigt – und dann jubeln im Publikum mindestens drei Generationen. Es ist doch auch immer wieder ein tröstliches Gefühl der Sicherheit, dass sich manche Dinge nie ändern. Insofern: Mick, Keith, Charlie – weitermachen! Wir brauchen euch. (cm)