Damon Albarn begann seine Karriere als Britpop-Ikone. Nach 25 Jahren Schaffenszeit ist jetzt sein Debüt-Album "Everyday Robots" erschienen. Darin leistet er nicht nur radikale Kritik am Digitalen Zeitalter, sondern zeigt Liebe zum klanglichen Detail. Bettina Taylor hat sich mit ihm und seinem Werk beschäftigt:
Streicher, Glockenspiele, Flöten, Ukulelen, Klavier, verspielte Samples oder gar Vogelgezwitscher – führt man sich die instrumentale Bandbreite von "Everyday Robots" vor Ohren, scheint es fast schon unglaubwürdig, dass der Macher des Albums einst mit einem simplen Lied wie "Song 2" die Charts eroberte und Britpop international salonfähig machte. Doch der Weg vom energiegeladenen Ohrwurm-Hit zum experimentellen "Everyday Robots" ist lang. Als Blur 2003 eine jahrelange Schaffenspause einlegten, machte sich der damals als Frauenschwarm verschriene Damon Albarn daran, seinen musikalischen Horizont zu erweitern und ließ dabei kaum ein Genre aus: Als Teil von Gorillaz, der ersten virtuellen Musikgruppe überhaupt, lieh er der Comic-Figur 2D seine Stimme und brachte Alternative-Rock und Hip-Hop-Beats zusammen. Dann komponierte er die Oper "Monkey: Journey to the West" www.monkeyjourneytothewest.com und ließ sich auf langen Reisen von karibischer Weltmusik inspirieren.
Auf Albarns Album kommen nun all diese Einflüsse zusammen, um eine entspannte, aber schwermütige Grundstimmung zu kreieren. Dabei wird die Kritik an die modernen Smartphone-Manien unserer Zeit schon in der ersten Zeile des Openers "Everyday Robots" deutlich: "We are everyday robots on our phones / In the process of getting home". Die Entfremdung in der Digitalen Ära setzt sich auch in späteren Tracks wie "Lonely Press Play" als Hauptthema des Albums fort. Paradoxerweise liegt Albarns Talent jedoch gerade darin, analoge und digitale Elemente zu einem Lied zusammenzudenken. Durch seine unterschiedlichen musikalischen Einflüsse scheint er ein ganzes Repertoire an akustischen Spielereien entwickelt zu haben, die von organisch bis hin zu elektronisch reichen. So verweben sich im Song "Photographs" schwere Beats, Synthies, verspielte Klaviermelodien und Telefonklingel-Geräusche zu einem experimentellen Wechselspiel. Dabei ist es nicht die instrumentale Vielfalt, sondern vielmehr die Liebe zum akustischen Detail, die den einzelnen Tracks schnörkeligen Tiefgang verleiht.
Albarns Debüt könnte in atmosphärischer Hinsicht fast schon als Filmmusik durchgehen. Zumindest mag sich so mancher Hörer leicht Geschichten zusammenfantasieren, wenn er dem Rassel-Rhythmus und den gesprochenen Parts bei "Mr. Tembo" lauscht. In einem Interview erzählte Albarn, er habe das Lied für einen verwaisten Elefanten aus Tansania geschrieben. Überhaupt arbeitet er in den Texten eine Menge Vergangenheit auf – von seiner multikulturellen Londoner Kindheit bis hin zur Drogenzeit.
So abwechslungsreich "Everyday Robots" in instrumentaler Hinsicht ist, umso eintöniger ist die LP jedoch in seiner Grundstimmung. Dem Album hätte ein weiterer Gute-Laune-Track wie "Mr. Tembo" gut getan. Spätestens ab der Hälfte scheint Albarns schwermütiger Samt-Gesang einzulullen. Bis zu "Heavy Seas of Love" – dem ersten und einzigen Ohrwurm des Albums – braucht man einen langen Atem. So eignet sich die Scheibe insgesamt eher für schwere Regentage, die mehr oder weniger zwischen wolkig und heiter wechseln. Dennoch lohnt es sich, diese graue Grundstimmung zu durchleben – allein schon wegen der Vielfalt an Geräuschen, die Albarn zu Musik verarbeitet. Denn im Gesamtkontext der meisten Indie- und Rockplatten, die sich in Liedstrukturen und Gitarrensoli mehr oder weniger gleichen, ist dieses Album erfrischend anders und vor allem seltsam schön. (bt)