30 Jahre und kein Ende... Na ja, so ist das nicht ganz richtig. Die Hamburger Punkband Slime gibt es seit ihrem legendären Abschlusskonzert 1995 in der Hamburger Großen Freiheit nicht mehr. Oder sollte man besser sagen "gab es nicht mehr"? Jan Schütz klärt auf:
Nachdem ich im Mai 2010 beim Hundertjährigen des FC St. Pauli das Vergnügen hatte, Slime zum ersten Mal live zu erleben, war ihr Auftritt am 12.11. in der Kesselhalle im Bremer Schlachthof anlässlich ihrer Jubiläums-Reunion-Tournee natürlich Pflichttermin. Während drinnen bereits die lokale Punkband Dhool den Leuten einheizt, herrscht der meiste Andrang noch vor der Halle – trotz Temperaturen um die 10 Grad Celsius. Bier hält eben warm und manch einer hat sich gleich mit einem ganzen Kasten versorgt. Nur um sicher zu gehen ...
Die anschließend auftretenden Velvetones, ebenfalls aus der kleinen Hansestadt locken mit ihrem Mix aus Country, Blue Grass und Rock'n'Roll schon mehr Leute in die warme Stube. Auch wenn der Kampf um die besten Plätze da wohl keine unerhebliche Rolle spielen dürfte. Nichtsdestotrotz, das Quartett macht seinen Job ziemlich gut und sorgt für grooviges Schwoofen vor der Bühne. Und auch wir haben uns erfolgreich in der ersten Sitzreihe positioniert – vier Meter vor der Bühne, auf Augenhöhe mit der Band!
Gegen 21 Uhr ist es dann endlich soweit. Die Ränge der Kesselhalle sind bis unter die Decke mittlerweile gut gefüllt; Altersschnitt 30+, dominierende Farbe: Schwarz. Dichtes Gedränge jetzt auch vor der Bühne; Altersschnitt hier eher Anfang 20, gleiche Farbwahl. Es geht los: Slime-Sänger Dirk Jora, im St. Pauli-Jäckchen und mit blondierter Igel-Gelfrisur, und seine Mannschaft entern die Bühne. Kurze Begrüßung und schon hagelt es die erste Salve drei ihrer absoluten Klassiker. Nach "A.C.A.B.", "Legal, illegal, scheissegal" und ihrer 80er Debüt-Single "Hey Punk!" ist die Marschrichtung klar, die Menge vor uns warm und wir froh, dass wir eine Stufe über dem ganzen Gewusel stehen.
Was dann folgt ist ein kraftvolles Potpourri aus (leider nur) fünf Alben. Ob "Linke Spießer", "Religion", "Schweineherbst" oder eine neue (St. Pauli-)Version von "Gewinnen werden immer wir". Alles ist mit an Bord und klingt so als wären sie nie weg gewesen. Selbst zwei Songs ihres umstrittenen ersten Reunion-Albums (ja, 1992 gab's das schon einmal) "Viva La Muerte" finden ein Plätzchen auf der Setlist. Nach dem Auftritt am Millerntor im Mai überrascht es mich auch nicht mehr, dass selbst Dinger wie "Polizei SA SS", "Bullenschweine" und "Deutschland" unzensiert und mit voller Inbrunst ins Mikro gegrölt werden – ohne dass plötzlich eine Hundertschaft der Bremer Ordnungshüter auf der Matte steht. Zeiten ändern sich.
Zwischen den Songs immer wieder politische Statements des Sängers zu Themen wie Stuttgart 21, Polizeigewalt oder Ungerechtigkeit der Justiz. Das Übliche eben. Dem fehlenden Graben sei dank verlagern sich unterdessen die Aktivitäten der pogenden Menge immer mehr auf die Bühne - Schwerstarbeit für die ziemlich genervt drein blickenden Ordner. Meine persönlichen Höhepunkte: Gruppenbild mit Dirk (frei nach Böll) und ein lustiges Kerlchen, das mit einem der Ordner quer über die Bühne Ringelpiez mit Anfassen spielt – sehr zur Belustigung der Kollegen des Leidtragenden. Jaja, es lebe die Anarchie...
Am Ende des Auftritts stehen satte 30 + 6 Songs im Logbuch. Reife Leistung! Apropos reif. Mit ihrem Altersschnitt um die 50 sind die drei Ur-Mitglieder Dirk, Elf und Christian (beide Gitarre) in einem Alter, in dem man langsam ruhiger wird – sollte man denken. Aber nach diesem Power-Konzert bin ich gespannt, was die (neue) Zukunft von Slime uns bringen wird. Leider haben sich zur Jubiläums-Reunion nicht alle ehemaligen Mitglieder im Tourbus wiedergetroffen. Bassist Eddi wurde durch Nici von den Mimmis (bei denen auch Elf spielt) ersetzt, und für die Trommelei hat man Alex Schwers angeheuert, der in der Szene bereits den Ruf des Feuerwehrmanns genießt, wenn Not am Mann ist. Den eigentlichen Drummer Stephan Mahler konnte die Band nicht mehr zu gemeinsamen Auftritten bewegen. Vielleicht ein kleiner Wermutstropfen, da er in der Vergangenheit den Job des Cheftexters bei Slime hatte.
Was wird nun aus der Reunion 2010? Neue Songs? Ein neues Album? Oder doch erst einmal wieder 15 Jahre in der Versenkung verschwinden? Selbst Sänger Dirk Jora weiß noch nicht, wo die Fahrt hingeht, wie er in einem Zeitungsinterview kurz vor Weihnachten verriet. Immerhin, an jenem Abend verabschiedet sich die Band standesgemäß mit Heidi Kabels "In Hamburg sagt man Tschüss". Und das heißt ja bekanntlich auf Wiederseh'n...
(js)