Die gewaltige Lok stampft und qualmt. Angefeuert von dem gehörnten Schulbub rast sie immer schneller durch die Nacht. Die Bikini-Girls im Führerhaus scheint das nicht zu ängstigen, lustvoll zerren sie am phallusartigen Bremshebel. Ganz klar, der Zug auf der Leinwand ist nicht mehr aufzuhalten. Plötzlich ein Schlag, Blitze – und die Lok steht auf der Bühne, fünf Musiker schwärmen aus. Alles einsteigen in den "Rock'n'Roll Train"!
Auch wenn die Lok schon älter ist, dieser Zug geht mächtig ab. Auch live und hier, in der Grand Garden Arena des MGM Hotels in Las Vegas. AC/DC – die Legende lebt! Dabei gehen die fünf Herren stramm aufs Rentenalter zu. Besonders rüstig Sänger Brian Johnson mit seiner Kreissägen-Saftpressen-Stimme, und natürlich Angus Young an der Gibson SG. Die zwei dominieren die Bühne und sind den ganzen Abend gut zu Fuß, tänzeln, watscheln, trippeln und purzeln von einer Ecke zur anderen. Aber das ginge nicht ohne die Teamplayer, die die Basis liefern: Drummer Phil Rudd, Cliff Williams am Bass und – Malcolm Young. Den Rhythmusgitarristen mit seiner Gretsch halten viele für das Uhrwerk, den eigentlichen Motor der Band, der wie ein altes Mercedes-Taxi immer weiter läuft und auch noch spielt, wenn der Strom weg ist.
Auf der Bühne nur alte Säcke, im Publikum auch Jungvolk. AC/DC ist (wie sonst wohl nur noch "Wetten, dass...?") quer durch die Generationen konsensfähig. Vater, Mutter, Kind wippen gemeinsam mit, was wegen der durchgängigen Bestuhlung im Saal etwas schwierig ist. Die Mano cornuta, Zeichen aller seelenverwandten Hardrocker und Metaller, reckt sich nur selten empor, stattdessen ein Meer von rot erleuchteten Hörnern auf den Köpfen der Fans. Angus‘ teuflisches Gehörn als Merchandising-Artikel mit Batterie, das nennt man Rundum-Vermarktung.
Den ganzen Abend über beeindruckt die Präzision, mit der die Band ihre Stücke spielt. Speziell die typischen, abrupten Schlüsse kommen hier genauso exakt wie auf CD, wobei stets Angus Young das Zeichen zum Aufhören gibt. Spielen die Jungs das Ganze also nur routinemäßig runter? Gut, manche Tempi geraten schneller als im Studio (z.B. bei Hells Bells), aber spektakuläre Live-Elemente sind selten. Immerhin, Angus bleibt weder die Solo-Orgie am Ende des Sets schuldig, noch den obligatorischen Strip zu "The Jack", wobei er nicht blank zieht sondern nur einen Blick auf eine pfiffige Logo-Unterhose gewährt (Rundum-Vermarktung!). Und zum Klassiker "Whole Lotta Rosie" bläst sich vom Bühnenhimmel her eine gigantische, pralle und dralle Bikini-Puppe auf, besteigt die Lok und bringt im Takt jede Menge Rosie zum Schwingen. Ein Höhepunkt offenbar auch für die Damen im Saal, die man auf den großen Bildschirmen über der Bühne sehen kann, wie sie es der Kollegin begeistert nachtun.
Von solchen optischen Gags aber mal abgesehen, ist es gerade die Sparsamkeit an Effekten, die die besondere Qualität dieser Band ausmacht. Die fünf Typen machen seit über 30 Jahren auf den Punkt gute, harte, simple aber ehrliche Rockmusik, ohne Schnörkel und Firlefanz. Das hört man auch an diesem Abend, und man sieht es. Jeans und T-Shirt reichen vollkommen aus. Keine Armada verschiedenster Gitarren und Bässe, eine Klampfe reicht fürs ganze Set. Die Rhythmusgruppe hält sich "still" im Hintergrund, nur beim Refrain machen sie ein paar Schritte nach vorn zum Mikro für die Backing Vocals. Und so ziehen all die großen Nummern vorbei, die wir seit vielen Jahren lieben, TNT, High Voltage, Dirty Deeds, Let There Be Rock, You Shook Me All Night Long, Highway To Hell, undundund. Ein großer Abend mitten in der Zockermetropole von Nevada. (jrm)