Im 20. Jahrhundert ließ sich gefühlt jeder Künstler von Friedrich Nietzsche beeinflussen: in der Literatur, in der Malerei – die Radierungen und Gemälde von Hans Olde oder auch Edvard Munch – und in der Musik – Richard Strauss komponiert zu "Also sprach Zarathustra" eine Symphonische Dichtung. Doch auch in der Neuzeit wirft Nietzsche mit seinem prächtigen Bart einen langen Schatten. Ein Teil davon fällt auf David Bowie. Wo Nietzsche den britischen Musiker erkennbar inspirierte, hat sich Daniel Kirschey mal angeschaut.
Zuallererst: keine Angst! Wir gehen hier nicht völlig ans Eingemachte, sondern wollen anhand von drei Liedbeispielen die direkte Inspiration Bowies durch Nietzsche aufzeigen. Und praktisch nebenbei, die ein oder andere Begrifflichkeit erklären.
Um damit anzufangen, fällt hier der "Übermensch", ein von Nietzsche nicht wenig gebrauchtes Wort. Dieses Konzept des Übermenschen musste sich schon viele Interpretationen gefallen lassen. Die Einen legen es biologistisch aus, die Anderen metaphysisch, während die Nächsten im Übermenschen denjenigen sehen, der die Welt mit eigenem Sinn und eigenen Werten füllt – trotz des Nihilismus.
Auch David Bowie hat seine eigenen Interpretationen. Von mythischer Vergangenheit bis zu Kindern mit golden leuchtenden Gesichtern ist in seinen Texten alles dabei. In den 70ern entdeckt Bowie "Also sprach Zarathustra" und "Die fröhliche Wissenschaft" für sich. Das zeigt beispielsweise das Lied mit dem Titel "The Supermen" (= Übermenschen) vom Album "The Man Who Sold the World".
In den kryptischen Zeilen des Liedes schimmern immer wieder Anspielungen zu Nietzsche durch. Doch – und das ist im Liedtext auch deutlich herauszuhören – die Handlung des Textes spielt in einer mythischen Vergangenheit und die Übermenschen trifft ein harsches Schicksal. Die Anspielungen David Bowies sind recht vage. In einem Interview gesteht er dann auch ein: "I was still going through the thing when I was pretending that I understood Nietzsche ... And I had tried to translate it into my own terms to understand it so 'Supermen' came out of that." (David Buckley, Strange Fascination – David Bowie – The Definitive Story, 1999, S. 267).
In "Quicksand" von "Hunky Dory" geht Bowie ebenfalls auf den "Superman" ein: "I'm not a Prophet or a Stone Age man / Just a mortal with potential of a Superman."
David Bowie erweckt jedoch im Refrain eher den Eindruck, dass das Potential nicht geschöpft wird: "Don't believe in yourself / Don't deceive with belief / Knowledge comes with death's release." Überhaupt befinden sich in den Textzeilen von "Quicksand" so viele Anspielungen zu Nietzsche, Buddhismus, Okkultismus und Zweiter Weltkrieg, dass es sich hierbei eher – wie es einmal der Däne Georg Brandes über einen Schriftsteller sagte – um "Hochgewürgte unverdauter Nietzsche-Lektüre" handele.
Im letzten hier vorgestellten Song ist der Einfluss Nietzsches auf David Bowie am augenfälligsten zu erkennen – obwohl der Refrain hier andere Assoziationen erweckt.
Fängt der Text noch recht idyllisch mit Frühstück und Kaffee an, ändert sich dies schlagartig: Der Himmel reißt auf und etwas kommt auf die Erde. Außerirdische? Wer weiß. Zumindest sind die besungenen "Pretty Things" keine hübschen Mädchen oder Jungen im Club, sondern zwar Kinder aber "a coming race". In Bowies Song sind sie nämlich die Übermenschen. Die Eltern drehen durch, da sie die Kleinen, mit den Gesichtern in "golden rays" vermutlich nicht mehr verstehen und sich fragen, ob sie überhaupt noch ihre Kinder sind. Aber auch darauf hat Bowie eine Antwort: "Don't kid yourself they belong to you!"
Die Eltern drehen offenkundig aber auch deswegen am sprichwörtlichen Rad, da sie nun für die neuen Menschen Platz machen müssen. So konstatiert Bowie in einer Zeile der Strophe "Homo Sapiens have outgrown their use" und endet den Refrain jeweils frenetisch mit dem Ausruf: "You gotta make way for the Homo Superior." (dk)