Immer schön flexibel bleiben, hat sich unser Autor Andreas Babiak gedacht, und sich die Platte "Kramer kommt!" vorgeknöpft. Der renommierte Mundharmonikaspieler Chris Kramer zeigt sich auf seiner neuen Scheibe nämlich auch ziemlich facettenreich.
Ohne Intro beginnt das erste Lied, es funkt und groovt. "Ich bin anders" heißt das Stück und es beschreibt den Musiker Kramer ganz gut. Die Texte des im Ruhrgebiet geborenen Sohn eines Bergarbeiters erzählen Geschichten. Kramer gilt als weltweit angesehener Mundharmonikavirtuose. Chuck Leavell, der Pianist von den Rolling Stones, kennt Kramer nur als "an amazing harpplayer". Doch ist er auch darüber hinaus überzeugend?
Der Titel des zweiten Stücks verspricht mehr als er hält. "Volle Kraft voraus" überzeugt zwar wie alle Songs auf dem Album durch das rockige Grundgerüst, durch harte Gitarrenriffs und kleine Soli, aber volle Kraft ist das nicht. Das Problem der Platte ist, dass man sich die Songs regelrecht schön hören muss. Punktlandungen, die sofort ins Ohr gehen und somit auch die Masse begeistern könnten, gelingen ihm nur wenige. Zwar verspricht er selbstbewusst, dass es "genügend Songs mit Hit-Potenzial" auf der CD gibt, doch leider bleibt es meist nur beim Potenzial.
Der Song "Geld Geld Geld" überrascht dann durch seine Eingängigkeit – eine fetzige Melodie und ein Text, den man schnell im Kopf hat. Seine Reibeisenstimme ist weder aufdrängend noch unangenehm. Und spätestens ab dem angenehm poppigen Lied „Du bist das Licht“ ist einem klar, wofür Kramer bekannt ist: seine Mundharmonika!
Kramer und seine Band haben alle eine bewegte Vergangenheit: Kramer spielte mit Maffay zusammen, Lead-Gitarrist Benni Bilgeri tourte auf alle großen Bühnen mit, Bassist Martin Engelien war jahrelang mit Klaus Lage unterwegs, und Schlagzeuger Charly T. spielte mit Westernhagen. Zusammen haben sie ein abwechslungsreiches Album geschrieben. Mal Pop(, wie in "Du bist das Licht"), mal Südstaarenrock, wie in "Abschied nehmen" und auch mal Klavierrock, wie in "Mädchen aus Berlin". In „Bo“ wird sogar gescratched.
Zum Ende hin wird die Platte ruhiger, die Texte persönlicher. "Ich trink mir heut 'nen an" und "Ordentlich bin ich nur gelegentlich" fangen das Gehör ein und lassen aufmerksam die Geschichten verfolgen. Die Geschichte im letztgenannten Stück ist realistisch und liebevoll: Kramer kommt nach Hause, wo seine Frau auf ihn wartet, genervt von seiner Unordnung. Im Streit weglaufend stolpert sie im Flur über den dort abgestellten Gitarrenkoffer. Zunächst wütend wirft sie etwas nach ihm, doch am Schluss lacht auch sie mit ihm – ordentlich ist er schließlich nur gelegentlich.
Alles in allem ist Chris Kramer eine schöne Platte gelungen. Das Mischen der Musikelemente macht das Album zu einem ziemlich spannenden Werk. Bluesrock, der das Zeug hat, einen in gute Stimmung zu versetzen. Jedenfalls dann, wenn man sich die Mühe macht und den Songs die Chance gibt, nach mehrmaligem Hören, ihren Charme zu entfalten. Chris Kramer ist sich jedenfalls sicher: "Musik machen ist wie zum Horizont laufen. Man kommt nie an." Aber: Kramer kommt! (ab)