Wir alle kennen Andreas Scheinhütte als echten Vollblut-Rocker, doch ein Engagement in Bielefeld lässt ihn neuerdings über den Tellerrand in eine überraschende Richtung schielen: das Musical CHESS! Wie es dazu kam, erzählt er selbst:
Die Popmusik der Achtziger hat mich zugegebenermaßen ziemlich wenig interessiert. Mich zog es eher zu den Heroen des Jazzrock, wie Al DiMeola und John McLaughlin, aber auch zu den Hardrockvirtuosen, wie Eddy Van Halen. Und dann gab es da noch diese unheimlichen Burschen, wie Joe Satriani und Steve Vai, die gerade die Rockgitarre neu erfanden. Natürlich kannte ich Abba-Songs als Beispiel für gut gemachte Popmusik. Aber wie gesagt: Interessiert hat mich das damals nicht wirklich.
Umso überraschter war ich, als ich mich kürzlich im Vorfeld einer Theaterproduktion auf das Musical CHESS vorbereitete, das die beiden Komponisten Benny Andersson und Björn Ulvaeus zusammen mit dem amerikanischen Textdichter Tim Rice 1984 produziert haben. Und richtig: die beiden sind die männliche Hälfte der legendären ABBA. Und wie hochkarätig die beiden als Komponisten sind, wurde mir sehr schnell klar, als ich mich mit der Musik des Musicals beschäftigte. Bisher kannte ich nur den Song "One Night in Bangkok".
Nachdem ich schon einiges an Musicals gespielt habe, dachte ich eigentlich, dass mich nichts mehr groß überraschen kann. Denn echte Highlights à la The Who's THOMMY oder Leonard Bernsteins WEST SIDE STORY stehen schon seit Längerem auf meiner Repertoireliste. Weit gefehlt! Denn CHESS ist nicht nur für den Gitarristen, sondern für alle Beteiligten eine satte Herausforderung.
Allein die Besetzung mit einem kompletten Orchester, einer Rockband, einem großen Opernchor und einer Reihe hochkarätiger Solisten auf der Bühne macht das Musical zu einem äußert komplexen Geschehen, das die Kapazitäten eines Stadttheaters an seine Grenzen bringt. Gott sei Dank hat man es hier allerdings mit Profis zu tun, die wissen, wie es geht.
Bei den ersten musikalischen Proben von Rockband und Orchester schauten einige Musiker schon etwas erschrocken, was da angesichts einer solchen Dezibelmacht mit zwei Keyboards, E-Bass, Drumset und einer E-Gitarre auf sie zuzukommen schien. Aber es zeigte sich sehr bald, dass sich alles – auch aufgrund der durchdachten Instrumentation – sehr gut ineinander fügte.
Schwierig wurde es dann erst wieder im Orchestergraben, der von den akustischen Bedingungen her für ein Opernorchester ausgelegt ist. Um Übersprechungen in die Mikrophone der Streicher zu vermeiden, wurde der Schlagzeuger erst einmal weggesperrt. Der arme Kerl sitzt nun in einer saunagroßen Kabine – bei vergleichbaren Temperaturen... Im Verlauf der Proben mit Bühne und Orchester wurden auch um mich herum die Schallschluckmaßnahmen deutlich verstärkt. Wie heißt doch gleich die erste Lebenslüge des Gitarristen: "Ich bin nicht zu laut!". Aber man ist ja kompromissbereit, denn schließlich müssen bei insgesamt 123 aufgezogenen Kanälen am Mischpult die Lautstärkenverhältnisse kontrollierbar bleiben.
Ein Hauptproblem in der Zusammenarbeit von Rockband und Orchester ist aber die unterschiedliche Auffassung von Timing, denn das ist beim Orchester – anders als bei einer Rockband – äußerst flexibel, und passt sich permanent und äußerst präzise an den Dirigenten an. Seine Aufgabe ist es ja nicht nur, Takt und Tempo vorzugeben, sondern zusätzlich auch noch die Sänger und Tänzer auf der Bühne mit der Musik aus dem Orchestergraben zu koordinieren. Sich da als Rockband zu integrieren, verlangt eine Menge Disziplin und permanente Aufmerksamkeit.
Aber das Schönste ist: Bei aller Arbeit – auch unter den erschwerten Bedingungen – macht es trotzdem einen Heidenspaß! Und das liegt überwiegend an der phantastisch komponierten Musik. Ich freue mich jedenfalls sehr auf die Premiere im Bielefelder Stadttheater Ende September.
Mit gitarristischen Grüßen
Andreas Scheinhütte
Für Gearfreaks hier mein Set-Up:
Engl 100 Watt Top, Stevie Morse Signature. Das trockene Signal kommt aus einer 1x12-Engl Box. Alle Effekte laufen über ein G-System von T.C.Electronics. Das Stereo-Effektsignal wird an eine 20/20-Marshall-Endstufe weitergeleitet und auf zwei Hughes&Kettner 1x12-Cabs verteilt. Um Röhrensättigung ohne Tinnitus hinzubekommen, verwende ich den Silencer vom TubeAmpDoctor (seit ich dieses Teil verwende, haben mich auch die Kollegen wieder lieb). Außerdem dabei: ein Ibanez Tubescreamer und ein Fulltone OCD Overdrive. Gitarren: Blade-Strat und LAG.