"Wir müssen zugeben, dass wir beim ersten JVA-Konzert die Hosen voll hatten – wir wussten nicht was passieren wird." Die Neuwieder Band [N]Ticket wurde von ihrem Manager auf Tour durch elf deutsche Justizvollzugsanstalten geschickt. Andreas Babiak hat mit den Jungs darüber gesprochen, wie es ist, plötzlich im Gefängnis zu sein.
SdR: Ihr habt eine Gefängnistour gemacht! Wie kann man sich das vorstellen?
[N]Ticket: Wir sind innerhalb eines halben Jahres durch elf Gefängnisse deutschlandweit gereist und haben dort vor den Gefangenen Konzerte gegeben. Wir spielten teilweise in Turnhallen vor rund 120 Häftlingen.
Wie habt ihr euch hinter Gittern gefühlt?
Das Feeling war komisch. Eigentlich herrschte Freude, aber die Spannung auf das, was kommt, war groß. Als es losging, waren wir alle überwältigt: Man steht vor den Gittertoren, die Tore öffnen sich und man wird für einige Stunden eingeschlossen. Es war oft unwirklich, und es ist kaum zu glauben was abging, wenn man es nicht erlebt hat. Die hohen Mauern mit Stacheldraht, die langen Flure mit hunderten abgeschlossenen Türen – da wird einem schon ein bisschen anders. Auch die Konzerte waren beeindruckend, man achtet mehr auf seine eigenen Texte und sieht alles aus einer anderen Sicht.
Wie war es vor und mit den Gefangenen?
Die Reaktionen bei und nach den Konzerten waren genial. Einfach abgefahren! Das Publikum brauchte zwei, drei Songs zum Warmwerden, aber spätestens nach "Ring of Fire" von Jonny Cash ging die Party ab. Die Leute haben gefeiert! Und wie! Teilweise kamen die Häftlinge nach vorne, haben getanzt oder ins Mikro gesungen. In der JVA Berlin kam ein Häftling während des Konzertes nach vorne und fragte, ob er auch einen Song an der Gitarre spielen darf. Klar durfte er und wir trauten unseren Augen kam, als er die geilste Elvis Presley-Show überhaupt hinlegte. Gänsehaut pur!
Abgesehen davon hatten wir mit den Gefangenen kaum Kontakt. Man muss sich das so vorstellen: Einlass in die JVA, Soundcheck, Aufbau, Essen, und dann an den Instrumenten warten, bis die Häftlinge in Gruppen in den Raum gelassen werden. Vor uns saßen alle in Einheitskleidung und bei manchen Häftlingen dachte man: "Ohje, dem will ich nicht im Dunkeln begegnen. Was der/die wohl gemacht hat?" Selten hatten wir im Tourbus so eine Stille nach Konzerten. Nur nach dem Konzert kamen die Häftlinge kurz zu uns und bedankten sich, bevor sie wieder abgeführt wurden. Selten haben wir so viel Dankbarkeit erlebt, und fast jeder stand in der Schlange für ein Autogramm. Wir glauben, dass wir den Menschen in den Gefängnissen 60 Minuten lang ihre Sorgen nehmen konnten. Es war kein Alltag, sondern ein Highlight für sie, allein weil es mal was anderes ist als der Alltag.
Was habt ihr gespielt?
Wir spielten unsere Platte "Der Tag an dem der Tod starb". Da wir Newcomer sind und das Publikum in den JVAs uns kaum kannte, haben wir auch drei Covers gespielt. Unsere Texte sind aber auf Deutsch und deshalb auch schnell verständlich, außerdem sind sie direkt. Bei der Songauswahl hatten wir auch kein Problem, denn die Titel unserer Platte heißen passenderweise "Einspruch", "Raus hier", "Lass mich nicht im Stich". Man achtete plötzlich auf jedes gesprochene Wort ...
Wie waren die Sicherheitsmaßnahmen?
Strenge Vorgaben hatten wir in Bezug auf unser Konzertprogramm nicht. Wir konnten unsere Show so abliefern, wie wir sie geprobt hatten. Den Großteil der Konzerte haben wir unplugged gespielt, weil wir anfangs nicht wussten, ob das Publikum mitmacht. Uns war bekannt, dass das Publikum sitzen musste, also haben wir uns gedacht, dann rocken wir eben auch im Sitzen. Doch mit jedem Song wurde der Plan immer wieder zerstört, und es wurde nicht nur gestanden, sondern auch gerockt.
Strenge Auflagen gab es aber beim Einlass in die JVA. Der Bus und der Anhänger wurden kontrolliert und wir mussten unsere Handys, Personalausweise, Kameras und Wertsachen abgeben. Wir hatten rund um die Uhr mindestens einen JVA-Beamten an unserer Seite. Es war ein bisschen wie Babysitting ... Wir konnten zum Beispiel alleine durch keine Tür gehen. In der JVA Rohrbach war es sogar so, dass wir nicht mal alleine auf Toilette durften. Da unser Sänger Bully gerne mal einen Toiletten-Marathon vor jedem Konzert hinlegt, haben wir dafür gesorgt, dass auch die Wärter "auf Tour" waren. Insgesamt waren aber alle Mitarbeiter super freundlich und haben sich nett um uns gekümmert. (ab)