Die Szenerie mutet an, als entstammte sie der apokalyptischen Zukunftsvision eines düsteren Science-Fiction-Films. Die kalte Metall-Kulisse im Hintergrund könnte die stählerne Raumfähre sein, auf der die letzten Überlebenden einer vernichtenden Endzeitschlacht ihre letzte einsame Reise antreten. Zwischen meterhohen Feuersäulen, von grellen, hektischen Lichtblitzen entstellt stehen sie auf der Bühne – die Meister der Inszenierung. Ein Bild, das zu hundert Prozent auf die brachiale Musik abgestimmt ist. Felix Klein nimmt die Spur Richtung RAMMSTEIN auf und entdeckte eines der interessantesten Phänomene der deutschen Musiklandschaft.
Die Ursprünge der Band RAMMSTEIN sind in der Punk-Szene der ehemaligen DDR zu finden, wo Sänger Till Lindemann (damals allerdings noch als Schlagzeuger), Gitarrist Richard Kruspe, Bassist Oliver Riedel und Drummer Christoph Schneider bereits vor dem Mauerfall in verschiedenen Bands spielten. Nach einem Umzug nach Berlin komplettierten der zweite Gitarrist Paul Landers und Keyboarder Christian "Flake" Lorenz das Sextett. Ihre 1995 erschienene Debut-Scheibe "Herzeleid" bedeutete für RAMMSTEIN zunächst keinen nennenswerten kommerziellen Erfolg. Erst im Jahr 1997 schaffte die Gruppe den Durchbruch mit ihrem Album "Sehnsucht" und der fast schon legendären ersten Single-Auskopplung "Engel".
Parallel zu ihren Gold- und Platin-Erfolgen in Deutschland feierte die Band bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auch auf internationaler Ebene, insbesondere in den USA, achtenswerte Verkaufserfolge. Tourneen durch Europa, Nord-, Mittel- und Südamerika, Japan und viele andere Regionen der Welt ebneten den Weg für den anhaltenden Erfolg der nachfolgenden Alben "Live aus Berlin" (1999), "Mutter" (2001), "Reise, Reise" (2004) und "Rosenrot" (2005). Das aktuelle RAMMSTEIN-Werk "Liebe ist für alle da" erschien im Oktober 2009 und erklomm direkt nach seiner Veröffentlichung nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen weiteren europäischen Ländern und sogar in Mexiko die Spitzenposition der Charts. Auch die kurz nach der Veröffentlichung erfolgte Indizierung des Albums durch die 'Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien' tat seinem Erfolg keinen Abbruch. "Liebe ist für alle da" erreichte mit Platz 13 in den US-Charts sogar die beste Neueinsteiger-Platzierung eines RAMMSTEIN-Albums in den Vereinigten Staaten. Insgesamt haben RAMMSTEIN bis heute weltweit über 15 Millionen Tonträger verkauft und gewannen bereits mehrere Echos, zwei World Music Awards, den MTV Europe Music Award und viele weitere Auszeichnungen.
Die öffentliche Kontroverse rund um die Band RAMMSTEIN kann an verschiedenen Aspekten ihres musikalischen Wirkens festgemacht werden und beginnt bereits bei deren Namen. Dieser spielt auf einen tragischen Unfall bei einer Flugschau im pfälzischen Ramstein an, der im Jahr 1988 insgesamt 70 Menschen das Leben kostete. Nachdem bekannt geworden war, dass die Gruppe in frühen Jahren auch unter dem Namen "Rammstein-Flugschau" aufgetreten war, waren die Musiker gezwungen, die Herkunft ihres Bandnamens zuzugeben.
Darüber hinaus sah sich die Band RAMMSTEIN im Laufe ihrer Karriere vermehrt mit dem Vorwurf konfrontiert, eine rechte Gesinnung und nationalsozialistische Tendenzen zu verfolgen. Wie bei anderen Bands der "Neuen Deutschen Härte" steht in diesem Zusammenhang insbesondere die Bühnenshow von RAMMSTEIN im Zentrum der Kritik. Vor allem das martialische Auftreten von Sänger Till Lindemann und die spektakulär in Szene gesetzte Pyrotechnik sind für viele Kritiker ein Grund, zumindest einen gedankenlosen Umgang mit rechter Symbolik und nationalsozialistischer Ästhetik anzuprangern. Im selben Zusammenhang wurde vermehrt auch das charakteristische gerollte "R" erwähnt, das Lindemanns Gesang erst seine unverwechselbare RAMMSTEIN-Note verleiht und aus dem Klangbild der Band nicht wegzudenken ist. In zahlreichen Statements und Interviews haben sich die Mitglieder der Gruppe wiederholt gegen solche Kritik zur Wehr gesetzt. Auch das im Jahr 2001 veröffentlichte Lied "Links 2 3 4" solle als musikalisches Manifest ihrer linken Gesinnung verstanden werden. Auf die Frage nach ihrer politischen Ausrichtung bezeichneten sich RAMMSTEIN selbst als "linke Patrioten" und kritisierten die "schlichten Schwarzweißmetaphern, die Journalisten scheinbar wichtig finden", um das musikalische Phänomen dahinter zu beschreiben.
Dass die Gruppe RAMMSTEIN in vielen Bereichen ganz gezielt provozieren und polarisieren will, ist ebenso wenig von der Hand zu weisen wie die Tatsache, dass eben diese Provokation auch ein wichtiges Zahnrad im Getriebe ihres Erfolgs darstellt. Das musikalische Schaffen der Band auf Inszenierung und Effekthascherei zu reduzieren, würde diesem jedoch bei Weitem nicht gerecht. Neben Tabu-Themen wie Sadomasochismus, Missbrauch oder Homosexualität behandeln RAMMSTEIN auch Aspekte des alltäglichen menschlichen Zusammenseins wie Liebe, Freundschaft oder Einsamkeit und scheuen nicht davor zurück, gesellschaftliche Missstände schonungslos offenzulegen. Viele ihrer Lieder entwickeln dabei einen expressiven und poetischen Charakter, der in der deutschen Musiklandschaft sonst kaum zu finden. Ob ein Lied über den Kannibalen von Rothenburg ("Mein Teil") nicht vielleicht doch des Guten zu viel ist, soll an dieser Stelle jedem selbst überlassen bleiben. Fakt ist: RAMMSTEIN haben die Provokation nicht erfunden. Mit Sicherheit aber haben sie sie perfektioniert. (fk)