Andreas Babiak – unser Mann fürs Softe und Skandinavische – war in Stuttgart bei der schwedischen Band Miss Li und anschließend leicht geschockt, aber begeistert:
"Oh Boy" will einfach nicht mehr aus meinem Kopf, die Melodie ist so einfach und eingängig, so dass ich nicht mehr davon loskomme. Kein Wunder, dass Volvo damit Autos verkaufen will. Ich habe mir das Lied angehört, damit ich wenigstens eine vage Ahnung von Miss Lis Repertoire bekomme, ehe der Gig beginnt. Und nun sitzt es fest und will nicht mehr weichen.
Im Stuttgarter Club Zentral ist noch die Vorband "Long Voyage" zugange. Ganz nett, aber keine Chance gegen meinen Ohrwurm. Lange muss ich aber auch nicht auf den Main Act warten. Miss Li betreten die Bühne und legen ohne Umschweife los. "Wow, ich bin überrascht dass ihr so viele seid, es ist schließlich mein erstes Mal hier", sagt Frontfrau Linda Carlsson. Und ich bin überrascht, dass sie so Gas gibt. Ihr Blümchenkleid hatte mich doch auf eine ganz andere Fährte geführt. Genau wie ihr Klavier, dessen Tasten sie Augenblicke später malträtiert wie eine Stromgitarre. Es sind die ersten Töne von "Dancing The Hole Way Home" – das Publikum flippt aus. Es wird wild mitgetanzt, vor allem in der ersten Reihe, und immer mehr trauen sich auch, mitzusingen.
Ich wundere mich über das Alter der Konzertbesucher: Mit meinen Einundzwanzig bin ich beinahe der Jüngste. Es scheint als sei das wohl ein Konzert für erwachsene Geheimtippkenner. Der kleine Club ist knallvoll. Und die kleine Frau geht gewaltig ab. Sie spielt fast schon stehend Klavier, stellt sich auf ihren Hocker, kippt hastig Bier in sich oder schlägt mit dem Schellenkranz wild zum Beat. "Den nächsten Song dürfen wir in Schweden schon gar nicht mehr spielen, dort kennt ihn jeder und keiner mag ihn mehr hören. Aber für euch spielen wir BaBaBa noch einmal", kündigt sie an. Sie hält ihr Mikro ins Publikum und die Meute singt gehorsam mit. "Wir wollen ein neues Lied an euch testen – wenn ihr es auch gut findet, dann wird es auf dem neuen Album drauf sein." Die Band beginnt, das Publikum lauscht gespannt. Der Text ist schon ein wenig klischeehaft: "And my heart – goes boom! boom! boom!" Aber der Song lässt sich hören, und am Schluss hat schließlich jeder diese Textzeile auf den Lippen.
Seitdem ich den Auftritt bei Inas Nacht gesehen habe, bin ich ein Fan von "Forever Drunk". Und ich bin da wohl nicht der Einzige. Kontrabass, Schlagzeug und Saxophon legen los. Die E-Gitarre schreit auf – der Gitarrist hat die Nummer auch geschrieben. Was er uns damit wohl sagen will? Egal, der Song vom aktuellen Album "Beats And Bruises" rockt, und das nicht zu knapp! Anschließend müssen sich alle erstmal mit einem Schluck Bier erholen, ehe es mit dem Hit "Bourgeois Shangri-La" weitergeht. Das Publikum ist am Abfeiern, es wird mitgesungen und getanzt – und Linda Carlsson gönnt sich schließlich bei "You Could Have It" ein Bad in der Menge.
Dann schon früh der erste Abgang. Das Publikum denkt aber noch gar nicht daran zu gehen. Und jetzt kommt er doch tatsächlich! Mein Ohrwurm. Oh Boy! Zunächst in einer sehr ruhigen Version. Doch plötzlich schreit die Frau am Klavier wie von Sinnen "One, two, three, four" und die Band spielt den Song laut und frech runter. Immer wenn es richtig abgeht, glaubt man, Linda Carlssons Pianotasten stehen unter Strom, so sehr entlädt sich ihre ganze Energie. Zweiter Abgang. Das Publikum wird nochmals mit einem Song belohnt. Dann ist aber wirklich Schluss. Oh Boy, was für ein Abend. Hinter Miss Li versteckt sich also nicht nur Piano-Pop im Blümchenkleid. Das war heute Abend richtiger Rock! Nichts anderes. (ab)