Mando Diao-Fans lieben gradlinige Gitarren. Genau das haben Schwedens Vorzeige-Rocker mit Aelita nicht geliefert. Stattdessen führen sie durch einen 80er-Jahre-Synthie-Exzess. Ist das noch mutiger Glam-Rock oder schon instrumenteller Kitsch? Bettina Taylor begibt sich auf Spurensuche:
"Es gibt keinen typischen Mando Diao-Sound. Wir entwickeln uns ständig weiter und die Musik wächst mit uns", so das offizielle Statement von Gitarrist Gustaf Norén. Überrascht eine Band mit einem unerwarteten Sound, antwortet jedoch so gut wie jeder Künstler, man wolle sich mit jeder Platte "neu erfinden". Das ist Mando Diao zumindest in instrumenteller Hinsicht gelungen. Der Name ist dabei Programm: "Aelita" bezeichnet einen russischen Synthesizer, der bei der Album-Produktion zum Hauptinstrument erhoben wurde. Statt rudimentärem Rock bekommen Hörer in den zehn Songs die volle Dröhnung 80er-Jahre-Kitsch. "Black Saturday", die erste Single-Auskopplung, erinnert zwar stark an den Radio-Hit "Dance With Somebody", umgarnt aber nicht mit gradlinigem Schlagzeug, sondern geisterhaften Computer-Stimmen. So richtig kommt die extreme Pop-Ästhetik dieses Albums jedoch erst durch visuelle Untermalung zur Geltung: Im Videoclip zu "Black Saturday" tourt die Band in einem bunt beleuchteten LKW durch das Land. Kindern der 80er mag vielleicht die nicht ganz unwillkürliche Assoziation mit dem SciFi-Klassiker "Tron" durch den Kopf spuken. Dabei wirken die Performance-Szenen mit pathetischen Posen fast parodistisch.
Aelita steht jedoch nicht nur für einen Genrewechsel innerhalb der Bandgeschichte. Das fünfte Album kommt deutlich düsterer daher als Give Me Fire von 2009. Man wollte sich einen emotionaleren Zugang zu seinen Instrumenten erschließen, erklärte Norén im Interview mit dem NDR. Besonders in "If I Don't Have You" oder "Child" werden mit Blick auf vergangene Alternativerock-Alben per Vocoder und dramatischen Klaviermelodien melancholische Atmosphären erzeugt. Dabei dient Björn Dixgårds kraftvolle Stimme nach wie vor als energiegeladener Gefühlstreiber. Den verzerrten Auto-Tune-Rap von "If I Don't Have You" hätte man sich allerdings sparen können. Was die Schweden außerdem an instrumenteller Experimentierfreude mitbringen, sucht man in den Lyrics vergeblich. Themen wie Liebe und Eifersucht bedienen mit einfallsloser Poesie jegliche Klischees. Es bleibt der Verdacht, dass Mando Diao sich zwar gerne an ihren Instrumenten austoben, mit ihrer Musik aber im Grunde sonst nichts zu sagen haben.
Dabei sind Björn Dixgård und Gustaf Norén in den vergangenen fünf Jahren als Künstler durchaus gewachsen. Mit Infruset, dem Vorgänger von Aelita, vertonte die Band Gedichte des schwedischen Lyrikers Gustav Fröding. In der Heimat wurde das Album zum Charterfolg. Zusätzlich konnten sie sich beim internationalen Projekt "Caligola" abseits von gewohnten Rock-Gefilden austoben. Das Selbstbewusstsein, das sie dadurch gewonnen haben, kommt im neuen Album deutlich zum Ausdruck. Mando Diao schrecken nicht davor zurück, ihre Fans mit unerwarteten Genre-Ausflügen zu verschrecken. Ob einem der 80er-Sound gefällt oder nicht, dieser Entwicklungsschritt ist in jedem Falle lobenswert.
Für Mando Diao mag die Erfahrung, die ihnen Aelita gebracht hat, neu sein. Aus Hörersicht trifft das jedoch eher nicht zu. Die Band hat sich zwar eine Musikrichtung neu erschlossen, diese aber nicht durch eigene Ideen weiterentwickelt. Das Album kommt nicht über altbekannte Synthie-Prototyp-Melodien hinaus. Wer aber in Sachen Genres offen ist und ein wenig Glitzerrock erträgt, wird sich mit Aelita dennoch anfreunden können. Schließlich haben sich Mando Diao in der Kreation von Ohrwürmern immer am besten verstanden. (bt)