Es war ein relativ unscheinbares Plakat, das einen der großen Gitarristen wieder ins Bewusstsein der ignoranten Autorin gespült hat. Am 27. September solle mit "Lucky Numbers" das neueste Album von Dave Stewart erscheinen. Der Dave Stewart von Eurythmics? Gibt's den noch? Oh ja und wie. Und seitdem kommt Carin Müller aus dem Asche über ihr Haupt streuen nicht mehr heraus.
Während eben jene Asche das Haar unschön ergrauen lässt, schmiegen sich in den Gehörgängen die Songs der letzten beiden Soloplatten, des inzwischen 61-jährigen Musikers aus dem englischen Sunderland. Doch fangen wir von vorne an: Für viele, die in den 80er Jahren ihre wilde (oder auch nicht ganz so wilde) Jugend erlebt haben, schrieb David Allen "Dave" Stewart den Soundtrack. Zusammen mit der großartigen Annie Lennox sorgte er als Synthie-Pop-Duo Eurythmics für "Sweet Dreams", ließ frustrierte Teenies auf "The Miracle of Love" hoffen, das bedarfsweise in Form des "Missionary Man" eintreten konnte oder schlicht mit "I Need a Man" zum Ausdruck gebracht wurde. Die emanzipierten Mädels grölten dagegen zusammen mit Annie und Aretha Franklin "Sisters Are Doin' It for Themselves". Yeah! Dave Stewart war dabei zwar immer der Mastermind und der Mann mit der Gitarre, konnte sich aber trotz interessanter Frisuren nicht an Annie Lennox vorbeimogeln, die Gesicht und Stimme der Band war (und ja, auch gleichberechtigte Mitkomponistin!).
"Mit anderen Menschen gemeinsam einen Song zu schreiben, das ist, wie sich neu zu verlieben. Wenn ich Gitarre spiele und jemand beginnt zu singen, selbst im Stadium des Improvisierens, entsteht ein Gefühl, dass man nicht beschreiben kann." Dieses ständige Neu-Verlieben lebt Dave Stewart auch nach dem Aus der Eurythmics mit zahlreichen anderen Künstlern aus. Mick Jagger, U2, Gwen Stefani, N.E.R.D , Stevie Nicks, Bryan Ferry, Tom Petty, Bon Jovi, Terry Hall, Bob Geldof, Paul McCartney Beyoncé, Sinead O'Connor, Katy Perry, Joss Stone sind nur einige Namen. Das Genre selbst ist ihm dabei fast egal. Die Musik muss einfach funktionieren. Wie beispielsweise "Lily Was Here" mit der holländischen Saxofonistin Candy Dulfer aus dem Jahr 1989.
Musik machen allein reicht Stewart allerdings nicht. Er war und ist Produzent, schreibt Drehbücher (für die US-Serie "Malibu Country") und engagiert sich in diversen politischen Projekten. 2002 initiierte er mit "46664" eine globale Anti-Aids-Kampagne für Nelson Mandela und unterstützte 2008 mit anderen Musikern Barack Obamas Wahlkampf mit der der Platte "Yes We Can: Voices Of A Grassroots Movement". Sein Musical "Ghost" hatte 2011 in London Premiere, lief 2012 auf dem Broadway und demnächst in Melbourne.
2011 war ohnehin ein ziemlich umtriebiges Jahr: Er gründete zusammen mit Mick Jagger und Joss Stone die Gruppe SuperHeavy, deren gleichnamiges Album vom Rolling Stone Magazin zu einer der 50 besten Longplayer des Jahres gekürt wurde. Parallel veröffentlichte er auch seine Soloscheibe "The Blackbird Diaries", die er in einer rauschhaften Fünftage-Session in Nashville aufnahm. Das Ergebnis? Eine ziemlich entspannte Mischung aus Blues-Rock und Country. Ein Jahr später erschien das Zwillings-Album "The Ringmaster General", das im gleichen Sound daher kommt. Dort behauptet er in einem Song, er sei "A Different Man Now". Tatsächlich? Nein, vielmehr ist er nach wie vor ein unfassbar vielseitiger Künstler, der bei Weitem nicht die öffentliche Anerkennung genießt, die er zweifellos verdient hätte. Aber andererseits, vielleicht schätzt er den Ruhm aus der zweiten Reihe noch viel mehr? Glücksbringer wie die "Lucky Numbers" hat er sicher nicht nötig – aber hörenswert ist auch sein neuestes Werk unbedingt! (cm)