Pünktlich zum Jahresende beenden wir unsere kleine Retrospektive über Rock-Rebellen. Und unser Autor Jan Schütz ist der Meinung, dass kaum etwas besser zur dunklen Jahreszeit passt als die Musik von Joy Division und ihr traurig-tragischer Frontmann Ian Curtis.
So richtig als Rebell kann man Ian Curtis gar nicht bezeichnen. Anders als seine beiden Vorgänger in unserer kleinen Miniserie, Bon Scott und Brian Jones, war das Leben des Joy Division-Frontmanns nicht bunt, schrill und laut, sondern grau, langweilig und eintönig – genau wie die Umgebung, in der er aufwuchs inmitten von zerfallenden Industrieruinen aus rotem Backstein und neu entstehenden Plattenbauten. Geboren am 15.7.1956 wuchs Curtis in Macclesfield auf, einem kleinen Vorort südlich von Manchester. Inspiriert von seiner Umgebung fing der kleine Ian schon früh an, Gedichte zu schreiben, was ihm bereits mit elf Jahren ein Schulstipendium einbrachte. Seine Gedichte und später auch seine Texte bei Joy Division waren bestimmt von Tristesse, Isolation und Entfremdung – eine Spiegellung seines Umfelds und seiner Persönlichkeit, wie Bilder aus der Zeit belegen. Curtis stiert stets mit glasigen Augen gedankenverloren ins Leere. Lachen sieht man ihn nie. Man könnte fast meinen, Timm Thaler wäre nicht das einzige Opfer des fiesen Barons geworden. Dazu Jobs als Arbeitsvermittler und Valium statt Alkohol oder Heroin – fertig ist die tragische Figur Ian Curtis.
So jedenfalls erschien der Sänger seinen Bandkollegen – als Kunstfigur, der voll in der Rolle eines düstereren Weltschmerzpoeten aufgeht und der wie sein Vorbild Jim Morrison nicht älter als 30 werden wollte. Dazu gab es eine dramatische Komponente im Leben des Ian Curtis, die ihn aber ironischerweise besonders berühmt machen sollte. Er litt, lange unerkannt, seit seiner Jugend an Epilepsie. Durch den zunehmenden Stress der vielen Auftritte, sein suboptimal verlaufendes Liebesleben und seine innere Zerrissenheit erlitt er immer mehr Anfälle. Da Curtis einen sehr eigenwilligen, von wilden Zuckungen geprägten Tanzstil hatte, den er selbst einmal als eine Art Zeichensprache zu seinen Texten bezeichnete, wurde dieser häufig als epileptischer Schub fehlinterpretiert. Allerdings wurden tatsächlich auch die Anfälle auf der Bühne mit der Zeit häufiger.
Die Mixtur aus Depression, unheilbarer Krankheit und gescheiterter Ehe führte schließlich dazu, dass Ian Curtis seinen Plan eines frühen Ablebens in die Tat umsetzte. Er erhängte sich am 18.05.1980 in seiner Küche – in der Nacht vor der ersten kleinen US-Tour von Joy Division, die gerade dabei waren, den nächsten Karriereschritt zu wagen. Auch wenn der Freitod von Curtis das Ende der Band bedeutete, hat er ohne Zweifel dazu geführt, dass Joy Division heute als eine der Ikonen des Post-Punk und Wave der frühen Achtziger bezeichnet werden. Getreu dem Motto "Nur die Besten sterben jung", das schon anderen Frühabtretern wie z.B. James Dean zu (zu) spätem Rum verholfen hat, wurde Ian Curtis zu einer tragischen Legende. Wer mehr über ihn erfahren möchte, sollte sich Anton Corbijns Biopic "Control" ansehen, das auf dem Buch "Touching From a Distance" (deutscher Titel: "Aus der Ferne") von Curtis' Ehefrau Deborah beruht. Passenderweise ist dieser Streifen auch komplett in schwarz-weiß gehalten. (js)