Spätestens seit 2008 das Album "Sængerkrieg" die Spitze der Charts erklomm, war es offiziell: Nicht nur Pop und Schlager machen die Musik aus, die Deutschland bewegt, sondern auch "eine moderne Rockband mit mittelalterlichem Kulturgut, die einfach Altes mit Neuem verbindet und so die Mittelaltermusik salonfähig gemacht hat", wie Michael Rhein treffend feststellte. Svea Röhm hat sich dem Phänomen In Extremo genähert:
Bis 1998 war die Berliner Band In Extremo noch in zwei Teile gespalten: man trat einerseits als Mittelalter-Combo auf und unabhängig davon auch als Rock-Band. Im selben Jahr wagten sie dann aber den Schritt und verbanden Dudelsack- und Flötenmusik mit hartem Rock. Wie sich herausstellte ein wahnsinnig gutes Erfolgsrezept. Seit der Gründung waren die Berliner sehr fleißig: Elf Studioalben hat die siebenköpfige Band (die meisten Bandmitglieder stammen übrigens aus der ehemaligen DDR) seitdem veröffentlicht. Davon wurden drei Alben – "Sieben" (2003), "Sængerkrieg" (2008) und "Sterneneisen" (2011) – mit Gold prämiert, außerdem kletterten letztgenannte bis auf Platz eins der Charts. Für eine Band, die dem Mainstream so offensichtlich trotzt wie In Extremo eine erstaunliche Entwicklung.
Am Anfang standen Michael Rhein (alias Das letzte Einhorn) und Conny Fuchs (alias Die rote Füchsin). Zusammen legten sie den Grundstein für das außergewöhnliche Projekt In Extremo. Mit Dr. Pymonte (André Strugala) und Flex Der Biegsame (Marco Ernst-Felix Zorzytzky) tourten sie über die Mittelaltermärkte Deutschlands, um auf sich aufmerksam zu machen. Nachdem Fuchs wegen ihrer Schwangerschaft die Band verließ, stießen 1996 die Mitglieder der Rockband Noah hinzu und der "langgehegte Traum von 'mittelalterlicher Rockmusik' mit total verrückten Instrumenten wurde zur Wirklichkeit", wie Rhein es auf der Website der Band beschreibt. Als offizielles Gründungsdatum wird aber stets der 29. März 1997 genannt; an diesem Tag fand das erste Rockkonzert In Extremos auf einem Mittelaltermarkt vor dem Leipziger Rathaus statt. 1998 folgte dann das erste Album mit dem Titel "Weckt die Toten". Mit dieser Platte wurde die Band prompt auch beim Wacken Open Air vorstellig. Außerdem wählten die Leser des Magazins "Rock Hard" die Berliner zum "Newcomer des Jahres 1998". Ab da geht es steil bergauf. In den nächsten Jahren folgen mehrere Alben, einige Chartplatzierungen und viele Live-Auftritte.
Seit ihrem Auftritt beim Bundesvision Song Contest im Jahr 2006, bei dem sie den dritten Platz erreichten, ist die Band fest mit dem Rockmusikmarkt Deutschlands verbunden. Und berühmt-berüchtigt für ihre imposanten Live-Auftritte, bei denen nach Möglichkeit auch Pyrotechnik zum Einsatz kommt. Das allein erklärt aber noch nicht die Durchschlagskraft der Musik. Das Feuilleton von faz.net beschreibt das Phänomen folgendermaßen: "In Extremo verleihen Begriffen wie 'Realitätsflucht' und 'Weltabgewandtheit' ungeahnte Dimensionen." Strugala, der Harfist der Band, sagt analog dazu: "Man kann auf einem In-Extremo-Konzert die Tür hinter sich zumachen, dem Alltag entfliehen und mit uns auf eine Art Reise gehen."
Strugala trifft den Nagel auf den Kopf. Das Abwenden vom Alltag, das Entfliehen in eine einfachere, in manchen Fällen auch fantastische Welt – das ist es, was den Reiz dieser Band ausmacht. Mystik ist allgegenwärtig. Zum Beispiel bei "Herr Mannelig", einer schwedischen Ballade, die von einer Trollin handelt, die eben jenen Herr Mannelig dazu überreden möchte sie zu heiraten, damit sie von ihrem Fluch erlöst wird. Mit diesem Lied trat In Extremo außerdem im Rollenspiel Gothic I auf – das Ganze findet dort als Konzert auf einem Marktplatz statt. Diese schon außergewöhnlichen Inhalte werden zudem mit den unterschiedlichsten Instrumenten zum Leben erweckt. Dudelsäcke, Schellen, Sackpfeifen, Drehleiern, Harfen und einiges mehr. Daraus ergibt sich eine Musik, die irgendwie wie ein Traum ist – surreal und doch so greifbar und verständlich. Rhein selbst versichert, dass "solange In Extremo noch Träume haben, werden wir spielen."
Eine gute Nachricht, denn gerade wegen ihrer Andersartigkeit, wegen ihrer Losgelöstheit von unserer Zeit und ihrem Alltag begeistern In Extremo die Massen – und sind doch kein Massenprodukt für den Mainstream. (sr)