Nun haben auch sie es endlich getan – Soundgarden sind offiziell zurück auf der Bildfläche. Obwohl die Reunion des 1997 aufgelösten Vierers ja bereits Anfang 2010 durchs Netz gezwitschert war, ließen sich Cornell & Co. noch ziemlich lange bitten. Erst am 13.11.2012 war es endlich soweit: "King Animal" wurde mit 13 brandneuen Stücken aus dem Käfig gelassen. Ob das Projekt Wiederauswilderung geglückt ist oder ob 15 Jahre in Gefangenschaft doch ihre Spuren hinterlassen haben – unser Autor Jan Schütz wollte es wissen:
Selbst wenn Soundgarden früher nur vereinzelt auf meinen Mixtapes vertreten waren, "Rusty Cage", "Outshined" oder "Black Hole Sun" waren ganz klare Meilensteine meiner musikalischen Sozialisation. Und somit war nach dem extra für den Avengers-Soundtrack geschriebenen "Live To Rise" auch "King Animal" als erster Longplayer seit "Down On the Upside" von 1996 ein klarer Pflichtkauf.
Leider brauchte es von der Pflicht zur Kür fünf Durchläufe. Die meisten Songs sind anfangs einfach zu sperrig, teilweise stimmlich oder instrumental überladen oder zu verspielt, um gleich zu gefallen. "Worse Dreams" ist eines dieser Klangmonster, das stark an die Soundlandschaften von Pink Floyd erinnert und nur durch den Refrain gerettet wird. Ähnlich psychedelisch wirkt auch der orientalische Unterton bei dem von Gitarrist Kim Thayil geschriebenen "A Thousand Days Before".
Es gibt aber auch Ausnahmen, die gleich beim ersten Anlauf Spaß machen. Dazu gehören die ersten beiden Stücke auf "King Animal": "Been Away Too Long" und "Non-State-Actor" sind stark rifflastige, aber dennoch straighte Rocksongs, die beide in ordentlichem Tempo losgaloppieren. Vor allem aber präsentieren sie eindrucksvoll das Merkmal, das Frontmann Chris Cornell so außergewöhnlich macht im Rockbusiness: sein extrem ausgeprägtes Stimm- und Klangrepertoire und den immensen Druck, den er mit der (von ihm nahezu perfekt beherrschten) Belting-Technik beim Gesang aufbauen kann. Dabei wechselt er munter zwischen seinem eigentlichen Bariton, einer Kreissäge und heulendem Wehklagen hin und her, ohne dabei an Stimmgewalt zu verlieren oder gar verwaschen zu klingen.
Besonders gut schafft Cornell dies auch bei "Eyelid's Mouth", wo er sich ein zweistimmiges Frage-und-Antwort-Spiel mit sich selbst liefert. Live wird der Fragepart von Drummer Matt Cameron übernommen. Untermalt wird das Ganze von einem mantraartig wiederholten, leicht verzerrten Thayil-Riff. Apropos: Das geloopte "Rowing" ist so eingängig, dass man sich gedanklich inmitten einer Holzfäller-Kolonne wiederfindet, die im Gleichtakt das Hackebeil schwingt. Cornells stimmliche Begleitung hingegen erinnert dabei mehr an einen Stamm Cherokee-Indianer, der sich tranceähnlich auf seinen nächsten Kampf einschwört.
Wer's gemütlich, aber nicht benebelnd mag sollte sich "Bones Of Birds" und "Traree" genauer anhören. Beide bilden die Mittempo-Section auf "King Animal" und vor allem Letzteres kommt mit einem herrlich groovigen Beat daher, der zwar nicht zum Tanzen, dafür aber zum fröhlichen Kopfnicken einlädt, bevor Cornells Organ den geneigten Hörer zum Schluss etwas unsanft aus dem Takt reißt.
Es braucht etwas, bis sich einem das Album erschließt. Aber allmählich fügt sich "King Animal" – trotz der vielen verschiedenen Spielarten und Sounds – auch für mich zu einem recht harmonischen Ganzen zusammen. Einen Hit habe ich zwar nicht ausmachen können, wohl aber ein paar persönliche Highlights. Einer davon ist der Opener "Been Away Too Long". Aber auch wenn der Titel wohl den meisten Fans von damals aus tiefster Seele sprechen dürfte, man könnte ihn auch anders interpretieren. Was wenn Soundgarden tatsächlich zu lange weg waren? Zu lange, um mit ihrer anachronistischen Klangkunst in der heutigen Welt zu bestehen? Die Resonanz bisher auf Rückkehr und Album, wie beispielsweise hier bei einer Pre-Release Show in New York, spricht allerdings nicht dafür. (js)