Tina Dico hat ihre Deutschland-Tour hinter sich und hat mit uns über ihr Leben als tourende-Mutter und –Musikerin, sowie über Anzugträger aus der Musikindustrie gesprochen.
Das Kurfürstliche Schloss in Mainz ist knallvoll. Kein Platz bleibt frei. Die Location passt wohl so perfekt wie selten: Tina Dico füllt mit ihrer Musik den riesigen Saal mit einer einzigartigen Wärme. Doch wer aufgrund ihres neuen Albums „Whispers“ nur ruhige Lieder erwartet hat, wird enttäuscht. Rockiger als erwartet bietet die gebürtige Dänin eine Show, die ihr Geld allemal wert ist. Zwischen den neuen Songs baut die zweifache Mutter rockige Versionen ihrer bekannten älteren Lieder ein. Vor allem der an allen besaiteten Instrumenten geniale Dennis Ahlgren bringt Biss in die Lieder. Helgi Jonsson – Dicos frischgebackener Ehemann – sorgt für mehr Tiefe an den Tasten und aufgrund seiner Stimme auch für mehr Höhen. Andreas Babiak hat sich mit Tina Dico vor ihrem Konzert getroffen und mit ihr über ihr neues Leben als Mutter auf Island und über die arroganten Anzugträger aus der Musikindustrie gesprochen.
Im ersten Teil unseres Interviews geht es zunächst um das Leben als Mutter auf Tour und das neue Album.
Wie ist es denn mit zwei Babys auf Tour zu sein?
Ich hatte zuerst sorgen, aber eigentlich ist es überraschend angenehm. Man ist mit Kindern immer gezwungen man selbst zu bleiben. Man muss immer für sie da sein, weil sie Bedürfnisse haben, man steckt im Moment drin. Sonst war es für mich einfacher mal abzuschalten und in eine andere Welt zu verschwinden. Und jetzt ist alles sehr intensiv, sehr real und es fühlt sich sogar noch besser an auf die Bühne zu gehen. Jedes Konzert ist dann wie eine Reise – weil ich dann mal ohne Kinder bin und ich kann mich ganz meiner Musik hingeben. Natürlich ist es auch manchmal hart und stressig, aber jetzt fühle ich mich vollständig, weil mein zu Hause jetzt auch immer mit dabei ist.
Du kommst aus Dänemark, bist aber immer auf Tour gewesen, hast in London gewohnt und bist jetzt in Island angekommen. Hat dir das „auf-der-Fluchtsein“ für deine Musik genutzt?
Ich hatte immer dieses komische Gefühl ein Außenseiter zu sein, nirgends reinzupassen. Wenn man das Gefühl zu Hause hat, dann ist das schrecklich, aber wenn man reist, dann ist das Gefühl ganz normal – weil man da einfach jemand fremdes ist und das hat mich immer beruhigt. Das Reisen hatte mich immer inspiriert, weil immer etwas passiert und man reflektiert und nachdenkt, woher man gerade kommt und wohin es jetzt mit einem weiter geht. Man fühlt eine Sehnsucht nach neuem, man vermisst das Alte, denkt an die Vergangenheit und die Zukunft.
Wie ist das Leben in Island?
Das ist fabelhaft! Dieser Ort passt perfekt zu mir. Es ist ein extremer Ort in vielerlei Hinsicht: das Wetter, die Natur. Für mich gibt es dort jeden Morgen neues zu entdecken. Es wird einfach nicht langweilig – und das gefällt mir sehr. Auch das Alltagsleben wird nicht langweilig – allein schon wegen der Kinder. Auch die Menschen sind ganz anders und dennoch fühle ich dort einen dänischen Hauch. Man findet zum Beispiel im Supermarkt viele Dänische Produkte, man lernt an Schulen auch Dänisch.
Du lernst auch Isländisch.
Das ist so hart! Isländisch ist irgendwie wie Russisch. Es gibt so viele grammatische Fälle. Ich befürchte ich werde es nie ganz verstehen, aber irgendwie muss ich ja verstehen, was meine Kinder sagen. Aber nochmal zurück: ich vermisse Dänemark total. Aber man kann einfach nicht alles in seinem Leben haben. Ich musste einfach einige Entscheidungen treffen. Aber ich bin oft bei meiner Familie in Århus.
Vermisst du es denn freier zu sein?
Ja und Nein. Natürlich ist es jedem klar, dass man mit kleinen Kindern immer alle Hände voll zu tun hat. Aber in meiner Jugend war ich extrem frei, ich wollte immer reisen und wollte nie irgendwem verpflichtet sein. Manchmal wusste niemand wo ich gerade genau war, nicht mal meine besten Freunde. Sie konnten das vielleicht von meinem Tour-Kalender ablesen. Ich musste einfach nichts tun – ich wollte nur rumreisen und auftreten. Ich dachte, dass es wirklich toll sein müsste so frei zu sein, aber das war es nicht. Für mich hatte der Rahmen gefehlt, den mein Leben ihm geben sollte. Ich kann alles nur genießen, wenn ich einen Rahmen habe. Irgendwann habe ich deshalb nach Sachen Ausschau gehalten, die mich haften lassen. Ich wollte dann eine Beziehung, ich wollte nah bei meinen Freunden sein, damit ich ihnen eine Schulter zum Ausheulen bei Problemen sein kann. Diese Sachen machen ein Leben schön und deshalb bin ich froh, dass es jetzt so einen Rahmen gibt.
Das neue Album ist viel schlichter, ruhiger, intimer. „Where do you go to disappear“ war hingegen poppiger. Warum den Schritt zurück?
Ich habe schon viele ruhige Lieder gemacht, aber meistens habe ich versucht nach einem lauteren Album ein stilleres folgen zu lassen. Aber nach etwas poppigem habe ich immer das Bedürfnis in mich zu gehen und etwas Stilleres zu machen. Nur ich und meine Gitarre gab es schon oft, aber so wie dieses mal war es noch nie. Für mich klingt das Album wesentlich ruhiger und entspannter als alle anderen zuvor. Ich singe auch tiefer als sonst. Insgesamt ist dadurch alles wärmer für mich. Und genau das habe ich momentan in meinem Leben gefühlt. Alles ist ein wenig ruhiger, einfacher.
Dass ich in die Rolle eines Mannes schlüpfen konnte, als ich Songs für den Film „En du elsker“ geschrieben habe, ist einer der Gründe warum ich so entspannt war. Und deshalb konnte ich endlich auch mal so mutig sein und einfach tiefer singen. Das habe ich mich davor nicht getraut, weil ich immer hoch singen wollte und eher weiblicher sein wollte. Jetzt konnte ich aber auch meine andere Seite zeigen und das hat sich für mich sehr gut angefühlt.
Welcher Song ist für dich denn am wichtigsten auf „Whispers“?
Zwar ist „As Far As Love Goes“ nicht mein „Favorit“ auf dem Album, aber es ist der wichtigste für mich. Es war der erste Song, den ich für das Album geschrieben habe und das war der Schlüssel um diese eher männliche, tiefere Art herauszulassen. Da habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, dass ich bei diesem Album mal etwas Neues ausprobieren könnte.
Welcher ist denn dann dein Favorit?
Eigentlich ist das der erste Song auf dem Album, „The Woman Downstairs“. Es ist so ein easy-listening-Song. Sonst sind meine Lieder ja eher Fordernd für den Zuhörer, weil er sich mit den Texten auseinander setzen muss, die ich singe. Sonst ist es eben anstrengender, komplexer. Bei dem Song ist es aber ganz anders, er ist einfach, leichter.