Statt einer spießigen Perlenkette sollte dieses Weihnachten besser die großartige Dokumentation über eine der größten US-Rockbands der vergangenen beiden Jahrzehnte hübsch eingepackt auf dem Gabentisch liegen. Unser Mitarbeiter Jan Schützhat sich Cameron Crowes Film "Pearl Jam Twenty" angesehen und verleiht das Nikolaus-Prädikat "besonders wertvoll":
Die Herren Vedder & Co. sind nicht gerade bekannt für ihre Medienpräsenz. Interviews, TV-Auftritte, selbst Musikvideos besitzen bei Pearl Jam schon fast Sammlerwert. Wenn sich dann also – abgesehen von (hierzulande ohnehin raren) Konzerten – tatsächlich einmal die Gelegenheit bietet, die Musiker zu erleben, sollte man zugreifen. Bei der nun vorliegenden Dokumentation Pearl Jam Twenty handelt es sich allerdings mitnichten um eine weitere Live-DVD oder eine Ansammlung des spärlichen Clip-Repertoires der Band. Nein, das hier ist mehr – viel mehr!
In bummelig zwei Stunden präsentiert uns Crowe einen tiefen und teilweise sehr persönlichen Einblick in die Entstehungs- und Reifegeschichte der Band, die als einzige der Seattle-Szene ununterbrochen bis heute existiert. Zusammengestellt aus über 1000 Stunden Archiv- und eigenem Filmmaterial, nimmt der Regisseur den Zuschauer mit auf einen krassen, wilden Trip zurück bis in das Seattle der späten 80er. Untermalt von den alten O-Tönen örtlicher Radiosender, erzählt der Regisseur, wie es damals war. Das Besondere dabei: Statt uns unseren Vorstellungen zu überlassen, präsentiert er Bilder, die wir so wohl kaum zuvor gesehen haben dürften. Originalaufnahmen von Stone Gossard, Jeff Ament und Chris Cornell (Soundgarden, Audioslave) als musikbegeisterte Teenager, die die lokale Musik in sich aufsaugen.
Was folgt ist die Geschichte, wie aus Mother Love Bone Pearl Jam wurde. Im Wechsel von alten und neueren Interviews erzählen die Akteure wie sie diese Zeit erleben und erlebten. Dazwischen immer wieder schnelle Szenen in schwarz-weiß – Autos, Häuser, Menschen. Crowes Meisterwerk erinnert mit seinen Schnitten selber an einen Musikclip. Er schafft es dennoch, elegant Vergangenheit mit Gegenwart zu verknüpfen. Immer wieder tauscht er alte und neue Livemitschnitte, Interviews und andere Szenen gegeneinander aus, ohne dass der rote Faden verloren geht und ohne dass spürbare Lücken entstehen. Vom ersten Demotape, das Surfer Vedder von San Diego nach Seattle schickt, über Opening-Gigs für Alice in Chains unter dem Namen Mookie Blaylock, bis zu dem gemeinsamen Mother Love Bone-Tribut "Temple of the Dog". Bilder vom ersten Videodreh von "Jeremy" (dem ersten PJ-Clip überhaupt!), Szenen aus dem Gerichtssaal beim Anti-Ticketmaster-Hearing, frühe Touraufnahmen – Crowe lässt nichts aus. Auch nicht das Unglück von Roskilde – ein Wendepunkt in der Karriere der Band. Die Originalausschnitte von jenem Abend sind aber nicht die einzigen berührenden Momente innerhalb der zwei Stunden kurzweiligen Filmmaterials. Ein Chris Cornell, der bei der Erinnerung an seinen Freund Andy Wood mit den Tränen kämpft, Vedder, der Crowe seine private Fotowand zeigt, und diverse Konzertausschnitte, die schlichtweg unter die Haut gehen, brennen sich ebenso ein.
Aber eigentlich darf man diese DVD nicht auf einzelne Momente reduzieren. Was Crowe hier geschaffen hat, ist vielmehr ein Gesamtkunstwerk, eine Hommage an eine große Band und ein wenig vielleicht auch an eine Zeit. Was bleibt ist ein Lächeln auf den Lippen und ein bisschen Wehmut, dass man damals nicht dabei war, als alles seinen Anfang nahm. Für Fans ist dieses Stück Musikgeschichte absolutes Pflichtprogramm, für alle anderen auf jeden Fall gute Unterhaltung.
Zum Schluss sei der guten Ordnung halber noch die Zusatzausstattung der DVD erwähnt. Die Technik bietet neben 5.1 Dolby Digital Surround-Sound auch Untertitel für die gängigsten Sprachen inkl. Englisch an – keine schlechte Idee, bei dem was sich vor allem Herr Vedder teilweise in seinen Bart nuschelt. Die Bonusfeatures sind klein, aber oho. Sechs kurze Clips verschiedener Bandmitglieder, die uns auf eine Reise in ihre Kindheit in Montana oder auf eine Sightseeing-Tour durch Seattle mitnehmen. Dazu ein Frontmann, der uns sein Allerheiligstes zeigt. Und dabei handelt es sich nicht um sein Schlafzimmer oder das Tonstudio... Was es damit auf sich hat und welcher skurrile Anblick sich dem Besucher an jenem ominösen Örtchen bietet, das seht ihr euch am besten selbst an. (js)