Das kurze, intensive Leben des getriebenen Joy Division-Sängers Ian Curtis steht im Zentrum von Anton Corbijns erstem Spielfilm "Control". Die Film-Biografie, mit dem bis dahin weitgehend unbekannten Sam Riley in der Hauptrolle, kam 2007 in die Kinos und gilt bis heute zurecht als einer der besten Musikfilme überhaupt.
Neben Sex und Drugs gehört auch das frühe und freiwillige Ableben zu den den Königsmythen des Rock'n'Roll – man denke nur an den ominösen "Club 27". "Only the good die young" stellten unter anderem schon Billy Joel, Iron Maiden und Queen fest. Dass es grundsätzlich der eigenen Legendenbildung gut tut, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzt, jeden Irrsinn des Älterwerdens zu durchleiden oder – Gott bewahre – am Ende ein durchschnittlich spießiges Dasein zu führen, ist ebenfalls eine beliebte These bei vielen genial durchgedrehten Adoleszenten.
Ian Curtis war da keine Ausnahme. "Inspiriert" vom frühen, ungeklärten Tod seines Vorbilds Jim Morrion, kultivierte er bereits als Teenie die Überzeugung, noch vor seinem 30. Geburtstag abzutreten. Möglicherweise war es auch diese Idealisierung eines kurzen, schnellen Lebens, das den Jungen aus Mecclesfield zu seiner rasanten Existenz (ver)führte: Er verliebte sich schnell und heftig in Debbie, die Freundin eines Schulkameraden, heiratete sie mit 19, bekam eine Tochter, betrog die Ehefrau, experimentierte mit Medikamenten und Drogen, litt an unkontrollierbarer Epilepsie und schweren Depressionen, rieb sich zwischen seinem Tagesjob als Arbeitsvermittler und seiner Berufung als Texter und Sänger der Postpunk-Band Joy Division auf. Die zunehmende Popularität machte dem Sänger mit der markanten, tiefen Stimme und dem eigenartigen Tanzstil immer mehr zu schaffen. In der Nacht zum 18. Mai 1980, zwei Tage vor dem Start der ersten US-Tour, erhängte er sich in seinem Haus. Er hat es nicht einmal bis zu seinem 24. Geburtstag geschafft.
Der Niederländer Anton Corbijn, der bereits seit Jahren als bekannter Musik-Fotograf und Video-Regisseur (u.a. U2, Depeche Mode, Metallica) arbeitete, verfilmt 2007 das Leben des charismatischen Künstlers. Basis für sein Kino-Debüt ist das Buch "Touching From A Distance – Ian Curtis & Joy Division", in dem Curtis' Witwe Deborah 1995 ihre Erinnerungen veröffentlicht hat. In "Control" nähert er sich dem Phänomen Curtis sehr eindringlich, ohne jedoch distanzlos zu werden. Der Film wirkt beinahe dokumentarisch und verzichtet völlig darauf, das Geschehen moralisch einzuordnen oder gar zu verherrlichen. Die vielen Grautöne im Leben des Ian Curtis werden optisch wunderbar durch den konsequenten Verzicht auf Farbe dargestellt. War es mutig im 21. Jahrhundert mit einem Schwarzweißfilm in die Kinos zu kommen? Es war in jedem Fall die richtige Entscheidung – genauso wie der großartige Cast. Sam Riley spielt nicht Ian Curtis, er ist Ian Curtis! Höchst beeindruckend, wie er einerseits die innere Zerrissenheit des Privatmannes darstellt und andererseits die fast manisch wirkende Rampensau des Sängers performt. Übrigens hat er alle Songs – zusammen mit seinen Schauspieler/Bandkollegen selbst eingesungen. Auch rein musikalisch gesehen ist der Film eine spannende Zeitreise, zeigt er doch wie sich Ende der 70er Jahre in England aus Punk langsam aber sicher Post-Punk und New Wave entwickelt haben.
Fazit: Auch wenn man der mystifizierten Todessehnsucht vieler Künstler kritisch gegenüberstehen kann und sollte, "Control" ist ein absolut gelungener Film, der ästhetisch auf allen Ebenen funktioniert: die Leistung der Schauspieler, die dokumentarisch kühle schwarzweiße Optik und vor allem die Musik. Sehenswert! (cm)