Musik aus Island? Die bekanntesten Exporte der nordischen Insel sind wohl Björk und Sigur Rós. Vielleicht kennt der ein oder andere noch das Streichquartett Aniima, die eine Zeitlang im Kielwasser von Sigur Rós mitschwimmen konnten. Und dann gibt es da noch Sólstafir, die langsam an Bekanntheit gewinnen. Früher einmal spielten sie exzentrischen Black Metal, doch inzwischen bezeichnen sie ihre Musik selbst als "Atmospheric Icelandic Rock and Roll". Ihre jüngste Platte Ottá beschäftigt sich mit der mittelalterlichen Zeiteinteilung und bietet deswegen genau acht Stücke. Warum das so ist, hat sich Daniel Kirschey mal etwas genauer angeschaut.
Ein Blick auf die Uhr zeigt im Bruchteil eines Augenblicks die genaue Tageszeit und das bis auf die Sekunde. Der Wecker morgens klingelt um 7 Uhr und 22 Minuten. Mittagspause ist um 12 Uhr. Ohne eine Uhr wären die meisten wohl ziemlich aufgeschmissen.
Vor – sagen wir mal – 700 Jahren, hatten die Menschen diesen Luxus nicht. Zu jener Zeit stand bezüglich der Zeiterfassung eine ganz besondere Himmelserscheinung im Augenmerk der Menschen: die Sonne. Anhand der gelben, leuchtenden Scheibe konnte man sich zeitlich orientieren. Knallt die Sonne einem senkrecht auf den Scheitel, steht also im Zenit des Himmelsgewölbes, ist es 12 Uhr mittags. Feine Abstufungen sind bei so einer Messmethode natürlich nicht zu treffen. Das heißt jedoch nicht, dass es gar keine gab. Die Skandinavier des Mittelalters teilten die Tages- und Nachtzeit in acht Segmente zu je drei Stunden. Da das System genau acht Teile ergab, nennt man es "Eykt" (ein Achtel des Tages). Davon inspiriert kreiert die isländische Band Sólstafir ein ganzes Album namens Ótta.
Das Album beginnt mit der Nacht. "Lágnætti" (tiefe Nacht) ist die Zeit ab 0 Uhr. Die Texte von Guðmundur Óli Pálmason und Aðalbjörn Tryggvason drehen sich jedoch nicht vollkommen um die einzelnen Zeitabschnitte. Vielmehr versuchen die beiden ihre Empfindungen, Assoziationen, Eindrücke und Geschichten der Zeitabschnitte in ihnen festzuhalten. Dass es sich bei den Texten eher um sehnsüchtige und melancholische Weisen handelt, erkennt man auch ohne des Isländischen mächtig zu sein. Aðalbjörn Tryggvason spricht genau dies in einem Interview mit Invisibleoranges.de an und erklärt: "It’s basically tales of summer, winter, forgiveness, death, breakup, love, drugs, fear, hope, youth, and sadness. I guess what people go through on daily basis. In this case, our lives."
Ótta ist im Gegensatz zu den vorherigen Alben etwas ruhige und nicht mehr so aggressiv. Dafür halten neue Instrumente Einzug in die Musik der Isländer. Das Streichquartett Aniima spendiert dem Album ein paar Geigen und Celli, während das namensgebende Lied des Albums Ótta mit einem Banjo aufwartet. "Ótta", isländisch für "Angst", bezeichnet den "Tod der Nacht" also die Stunden von drei bis sechs Uhr. Die Zeit, die darauf folgt, der Aufgang der Sonne im Osten, wird als "Rismál" oder auch "miðr morgun" bezeichnet. Die Mittagszeit "dagmál" als weiteres Beispiel umfasst die Stunden von 12 bis 15 Uhr.
Inwieweit die Skandinavier im Mittelalter die Zeit anhand der Sonnenstellung bemaßen, zeigen Ortsnamen. Hing die Sonne über bestimmten Landmarken, deutet dies auf eine bestimmte Tageszeit. Stand die Sonne also über dem Dagmálahóll ("hóll" bedeutet "Hügel") wussten die Skandinavier, dass es nun um die Mittagszeit sein musste. Nicht nur in Island findet man diese Namensbezeichnungen. Auch in Norwegen (Rismålsfjell ) und Schweden (Middagsberget) finden sich beispielsweise Berge, die als Sonnenmarkierung benutzt wurden.
Doch was bedeutet diese Zeiteinteilung für Sólstafir? Auf die Frage, was es mit dieser Zeiteinteilung auf sich hat, antwortet Guðmundur Óli Pálmason in einen Interview mit Reaperzine.de: "Ich denke, 'Ótta' ist unsere Art zu sagen 'entspannt Euch, Zeit ist relativ'." (dk)