Schmerzen und große Gefühle – das ist es, was Gary Moore seiner Gitarre entlocken konnte, und das ist auch, was bleibt. Der irische Ausnahmegitarrist ist tot. Er starb Anfang Februar mit nur 58 Jahren.
Schmerzen und große Gefühle erzeugte Moore auch bei Fans wie Feinden. Und von beiden Fraktionen hatte er mehr als genug. Der Grund ist sicherlich nicht in seinem Gitarrenspiel zu suchen – seine technische Virtuosität hat kaum einer jemals ernsthaft in Zweifel gezogen – sondern vielmehr in seiner Genre-Ambivalenz. Gewohnheitstier Mensch liebt nunmal seine Schubladen, und entweder ist einer Blues-Gitarrist oder Hardrocker. Basta! Will oder kann er sich nicht festlegen, dann soll er bitteschön zuhause bleiben und nicht die geneigte Zuhörerschaft mit immer neuen Experimenten verunsichern! Gary Moore waren solche Überlegungen egal. Er hat vermutlich nie darüber nachgedacht, ob er lieber ein Blues-Mann mit einer Vorliebe für die ganz harten Töne ist, oder doch eher ein echter Metal-Knochen mit einer bluesigen Seele. Für ihn stand immer die Gitarre im Vordergrund und was man mit ihr so alles machen konnte.
Und das war eine ganze Menge. Kaum ein anderer Kollege der Saiten-Zunft entlockte dem Instrument vergleichbare Töne. Seine Lieblingsgitarre – eine 59er Les Paul Standard, die er von Fleetwood Mac-Gitarrist Peter Green übernahm – konnte wütend schreien, hysterisch kreischen, markerschütternd jammern, herzzerreißend schluchzen und aus vollstem Herzen singen. Egal was, es war immer irrsinnig laut und ließ niemanden kalt. Schmerzen und große Gefühle halt!
Bereits mit acht Jahren lernte er Gitarre, und als mit 16 Jahren Jimi Hendrix in einem Konzert in Irland erlebte, war sein Schicksal besiegelt: Auch er würde mit der Gitarre Karriere machen! Er schloss sich der Dubliner Band Skid Row an und folgte später Phil Lynott, dem legendären Bassisten dieser Gruppe, auch zu dessen neuer Combo Thin Lizzy. Dort prägte er mit dem Konzept der doppelten Lead-Gitarre den Sound des 70er-Jahre-Rocks. Lange hielt Moore es jedoch nie in einer Band aus – auch nicht bei Collosseum II, wo er mit Jazz-Rock experimentierte. Er machte lieber sein eigenes Ding, und verprellte damit Reihenweise seine Anhänger. Die Hard-Rock-Fans verübelten ihm seine Blues-Ausflüge und umgekehrt. Und als dann mit Still Got The Blues 1990 auch noch der große Mainstream-Erfolg kam, waren endgültig alle "wahren Erleuchteten" sauer.
Trotzdem machte er unbeirrt weiter mit seinen Ausflügen in fast alle Gitarren-Genres, so dass es mit ziemlicher Sicherheit heute keinen Gary Moore-Fan gibt, der alles von ihm gut findet. Andererseits können sich selbst die größten Skeptiker durchaus mit dem ein oder anderem Stück arrangieren. Gut so, denn Schmerzen und große Gefühle sind erheblich nachhaltiger als weiche Wohlfühl-Sounds.
Gary Moore starb am 6. Februar 2011 an einem Herzanfall im Schlaf – ganz friedlich, wie seine Familie verlautbaren ließ. Er war gerade im Urlaub in Spanien, um sich auf die Aufnahmen zu seinem neuen Album und eine Tour vorzubereiten. Was bleibt ist sein großes, komplexes Werk. Und es lohnt sich für jeden Gitarren-Liebhaber, immer wieder reinzuhören. Denn selten kann man Songs von einem Künstler so leidenschaftlich lieben oder hassen, wie die von Gary Moore. Große Gefühle und Schmerzen eben. (cm)