Unser Autor Andreas Babiak hat ganz schön mit den Ohren geschlackert, als er die neue Scheibe von Kate Nash zum ersten Mal gehört hat. Auf "Girl Talk" mutiert das Pop-Prinzesschen zum wütenden Mädchen und lässt lupenreinen Rock hören.
Lust auf ein Märchen? Es war einmal ein London Girl, das gerne Schauspielerin werden wollte. Doch sie schafft die Aufnahmeprüfung nicht und bricht sich auch noch ein Bein. Aus schierer Langeweile lernt sie Gitarre, schreibt ein paar Songs und lädt sie auf Myspace hoch. Ein paar Nächte danach ist sie ein gefeierter Star im Netz. Einige Wochen später wird die Single "Foundations" veröffentlicht und erreicht Platz 2 in den Charts. Das folgende Album "Made of Bricks" klettert sogar noch einen Platz höher. Jetzt ist bereits der dritte Longplayer auf dem Markt und der klingt plötzlich ganz anders. Von wem die Rede ist? Von Kate Nash!
Kate Nash? Ja, richtig. Pop irgendwie. Denkt man zumindest, aber sie hat sich verändert. Sie hat die E-Gitarre entdeckt und spielt so lange, bis ihre Fingerkuppen bluten. Heute muss man Nash wohl eher in den Alternative-Rock-Flügel einsortieren. Ihr neues Album ist feministisch, spielt aber auch mit den Girlie-Klischees. Sie selbst bezeichnet die Musik auf ihrer neuen Platte als instinktiv.
Die Platte beginnt ruhig, wie bei einer Vorstellung. Alle sollen erst einmal Platz nehmen. "Part Heart", ein gleichmäßiger Beat, doch irgendwann kommt der E-Gitarren-Sturm auf, die Stimme wird rotzig-frech, und Kate Nash beginnt sich aufzubauen wie ein Tornado. Es sei ihre Mission klarzustellen wie es ist, eine Frau zu sein. In ihren späten Teeniejahren war sie unsicher gewesen, wie stark sie ihre mädchenhafte, feminine Seite betonen durfte. "Die Leute hätten mich sonst als kleines dummes Mädchen verurteilt. Jetzt bin ich selbstbewusst genug, um diese Seiten meiner Persönlichkeit auszuleben und zu genießen."
Schon bei "Fri-end?", dem zweiten Song, wird klar, dass man hier keinen Mainstream erwarten kann. Man wird an alten britischen Indie-Rock erinnert. Und an bissigen Girlie-Rock. Sie spielt mit Tönen wie bei James Bond, mit Elementen, die man als Surfer-Musik abstempeln würde. Wichtiger als die Instrumente ist die Stimme, die Nash anders als früher einsetzt. Langeweile, Verruchtheit, Überlegenheit, Party-Girl – all das kann man wahrnehmen. Instinktiv passt wirklich. Und so sind auch die Songs entstanden: "Ich schreibe Lieder sehr schnell. Sie sind mutig. Man kann die Wut raushören. Ich habe viel über Leute gelernt. Ich bin leider viel zu naiv und vertraue Menschen zu sehr, jetzt aber nicht mehr."
Ein genialer Song ist "Sister" – rockig und frech, das wahre Gesicht von Kate Nash. Das Geschrei wird von Fans der ersten Nash-Platte übrigens gehasst, aber das stört sie nicht. Sie genießt es, mal anders zu sein. Teils erinnert sie mit ihrer neu entdeckten Art an das "Fever to tell"-Album der Yeah Yeah Yeahs (archiv/hotties/yeah-yeah-yeahs) – vor allem in der Nummer "Cherry Pickin". Die Single-Auskopplung "3AM" dagegen ist ein glatter Song, nicht wirklich schrill, aber sie zeigt, was sie kann. Ein wenig Gitarre, schneller Beat, Sprechgesang mit Londoner Akzent und mal ordentlich ausgesungene Töne. Für die Fans der alten Nash ist natürlich auch Musik dabei, "OHMYGOD!" zum Beispiel. Ein netter Song mit eingängigem Refrain, kein Geschreie und keine aufheulende E-Gitarre, sondern sauber gespielte Töne.
Zum Schluss überrascht das Album noch einmal richtig: "You're so cool, I'm so freaky" ist eine akustische Nummer, die klingt, als würde Kate beim Hörer im Wohnzimmer sitzen. Und den Rausschmeißer "Lullaby for an insomniac" hat sie scheinbar nur schnell aufs Handy gesungen. Ohne Instrument, man hört lediglich ihr zartes rhythmisches Klopfen auf ihrem Schenkel. Doch nach ihrer letzten Zeile spielt plötzlich ein großes Orchester auf, wie im Film. Und dann steht man da, die Platte ist zu Ende – das war also Kate Nash? Sie weiß sich zu inszenieren. Interessant! (ab)