Vielen Dingen steht der Mantel des Vergessens ausgesprochen gut, doch manche Bands sind völlig zu Unrecht unter unserem Wahrnehmungsradar durchgesegelt. Daniel Kirschey hat sich als Perlentaucher betätigt und einige echte Rockjuwelen aus längst vergangener Zeit geborgen:
In den 70ern gründete sich – inspiriert durch Led Zeppelin, Black Sabbath, Deep Purple oder Pink Floyd – gefühlt alle fünf Minuten eine neue Rockband. Junge Männer mit Prinz Eisenhart-Frisuren kauften E-Gitarren und Bässe, eiferten ihren Idolen nach und lösten sich oft ebenso schnell wieder auf. Ein paar dieser Gruppen schafften jedoch den Sprung vom Übungsraum in die Studios. Die meisten von ihnen sind heute trotzdem vergessen. Schade, denn es sind richtig gute Sachen darunter.
Die schwedische Band November beispielsweise. Sie gilt heute als erste Hard Rock/Heavy Metal-Band Schwedens. An der Gitarre damals: Terence Charles White, besser bekannt unter dem Namen Snowy White, der später auch mit Pink Floyd, Roger Waters und Thin Lizzy spielte. Unter dem Namen Train gab die Band ihre ersten Konzerte, bis sie sich nach einem Gig an einem 1. November umbenannte. Output ihrer nur dreijährigen Existenz sind drei Alben, doch mit diesen drei Platten und vielen Konzerten erspielten sich November in Europa einen Namen. Den größten Bekanntheitsgrad hatte die Band natürlich in Schweden, doch auch in England war sie überaus beliebt – und das obwohl die Texte allesamt in Schwedisch sind.
Von Schweden geht’s über den Atlantik nach Amerika. Um genau zu sein nach Texas. Dort gründete sich fast zeitgleich Josefus. Hatten es November noch auf ganze drei Jahre gebracht, lösten sich Josefus 1970 bereits nach einem Jahr wieder auf. Nach den ersten Liedern wollte ihr Produzent Jim Musil, dass sie sich in Come umbenennen. Sie weigerten sich und so wurde die Platte zunächst nicht veröffentlicht. Erst als Josefus sie kurzerhand selbst herausbrachten, wurden sie im Raum Texas bekannter. Die Scheibe "Dead Man" ist heute Kult. Zum einen aufgrund der Musik, aber vor allem, da sie lediglich in einer Pressung von 3.000 Stück auf den Markt kam. Die Gruppe stand für einen ganz anderen Stil als November. Josefus spielten Psychedelic Rock, der an Led Zeppelin angelehnt war, jedoch schon einige typische Kennzeichen des sogenannten Southern Rocks aufwies. Höhepunkt auf "Dead Man" ist der gleichnamige Song. Er ist knapp 18 Minuten lang und nimmt so fast die ganze zweite Seite der Platte ein.
Von Texas geht es weiter nach Brooklyn, New York. Hier entstand 1968 die Gruppe Sir Lord Baltimore. Und wenn es eine zu unrecht vergessene und unterbewertete Rockband gibt, dann wohl diese. Eigentlich fing alles vielversprechend an. Als unerfahrene Gruppe spielte Sir Lord Baltimore bei Mike Appel vor, der später der erste Manager und Produzent von Bruce Springsteen wurde. Appel erkannte sofort das Potential der Band und die Aufnahmen zum Debütalbum begannen. Dadurch wurde ein weiterer Producer, Dee Anthony, auf die Band aufmerksam und übernahm sie. Die Legende behauptet, dass sogar Pink Floyd bei einem Studiobesuch von der Gruppe beeindruckt waren. Dee Anthony ließ das Debütalbum "Kingdom Come" von Tontechniker Eddie Kramer mischen. Eigentlich eine sichere Bank, denn Kramer war zuvor schon für Aufnahmen von Jimi Hendrix, Blue Cheer und Led Zeppelin verantwortlich gewesen. Doch es kam anders als erwartet. Viele Kritiker und Hörer wussten nichts mit Sir Lord Baltimores Platte anzufangen. Kingdome Come scheiterte. Ihr Stil wurde im Creem Musikmagazin als Heavy Metal beschrieben. So gelten sie als erste amerikanische Band in diesem Genre. Danach brachten sie noch ein weiteres Album heraus, auf dem sie sich – wohl auf Anraten der Produzenten – an einem progressiveren Stil versuchen. Doch auch diese Platte wurde kein kommerzieller Erfolg und die Band verlor ihre Plattenfirma. Bis ins Jahr 1976 suchten Sir Lord Baltimore vergeblich nach einem neuen Produzenten. Dann lösten sie sich auf. Schade drum! (dk)