War früher wirklich alles besser? Es scheint so, denn wir alle sind einer kollektiven Retro-Nostalgie verfallen: Die Plattenverkäufe steigen in Deutschland wieder. Wir peppen unsere Urlaubsfotos mit Instagram-Filtern auf und die Modewelt zieht uns den Vintage-Look an. Greifen wir auf vergangene Trends zurück, weil uns nichts mehr Neues einfällt? Diese Frage stellte sich Bettina Taylor, nachdem Sie Simon Reynolds' Buch "Retromania: Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann" gelesen hatte.
Laut dem Musikjournalisten sollen ausgerechnet die Neuen Medien an diesem Phänomen Schuld haben. Das Internet sei ein unendliches Archiv, das die Vergangenheit gegenwärtiger mache als die Zukunft. In YouTube-Schleifen und iPod-Shuffle-Listen konservieren wir unsere unsterblichen Rockhelden. Reynolds nennt es "Musealisierung". Man könnte es auch als Led Zeppelin oder Nirvana in einem Gurkenglas bezeichnen.
Warum gehen Musiker in moderne Studios, nur um ihre Songs doch wieder so klingen zu lassen, als hätten sie sie sonntags in Papas Garage aufgenommen? Jede Zeit hat ihre eigene Medientechnologie. Um diese zurückzuholen, brauchen wir sie nur nachzuahmen, so die Theorie. So versetzen uns The Strokes in ihrem Song "Is This It" mit verzerrten Mikrofonen in die guten alten 60er- oder 70er-Jahre zurück. Und Sandi Thom drückt ihre eigene Retro-Nostalgie explizit in ihrem Hit "I wish I was a Punkrocker (With Flowers in my Hair)" aus.
Implizit vermittelt der Songtitel aber das, was neu am digitalen Zeitalter ist. Den blumigen Punkrocker hätte es 1970 nämlich nie gegeben. Die digitale Soundtechnik "recycelt" nicht nur Altes, sondern vermischt auch Musikstile miteinander. Längst ist das Sampeln am PC auch bei Rockmusikern salonfähig. Auch sie legen ihre Gitarren zur Seite, um sich am Mischpult auszutoben. Dabei bedienen sie sich gerne aus der Plattenkiste ihrer Eltern. Angesagte Folkrock-Künstler wie Iron & Wine oder Bon Iver sind beste Beispiele. Ihr organischer Sound zitiert Klassiker wie Simon & Garfunkel. Doch so manche Band gibt sich mit Zitieren nicht zufrieden. Vampire Weekend schmeißen in ihrer Single "Diplomat's Son" die verschiedensten Genres zusammen.
Ist diese "Fragment-Musik" mit traditionellen Genres vergleichbar? Bis in die 90er sorgten rebellische Jugendkulturen für Innovation in der Pop- und Rockmusik. In unserer offenen Gesellschaft wirkt Rebellion aber längst fade. Das Spiel zwischen Mainstream und Gegenkultur lässt sich nicht mehr auf heute anwenden, so Reynolds. Statt eindeutigen Strömungen gebe es nur noch "Mikro-Trends". Musik ist demnach immer weniger in der Lage, das Gefühlsleben oder den Zeitgeist einer Generation abzubilden. Hinzu kommt, dass durch die zunehmende Kommerzialisierung des Musikmarktes Plattenfirmen mit Remastered-Alben immer häufiger auf Bewährtes zurückgreifen, um das finanzielle Risiko zu minimieren.
Ist diese neue Zeit nun wirklich so alt? Mag sein, dass Emo nur Punk mit mehr Melodie und Melodramatik ist. Aber die Musikgeschichte ist voll von Künstlern, die sich auf ihre Idole beziehen. Schon The Beatles hatten 1968 mit ihrem White Album eine Back-To-Roots-Phase. Auch in einem weiteren Punkt hat Reynolds Recht: Musikkultur war damals tatsächlich politischer. Wer heute zur Gitarre greift, will nicht die Welt verändern, sondern einfach nur Spaß haben. Myspace, YouTube, Last.fm & Co. haben nicht verändert, was wir hören, dafür aber wie. Künstler sind dank digitaler Technik nicht nur in der Lage, verschiedenste Klangwelten zusammenzubringen. Die Musikkultur ist auch demokratischer und offener geworden. Das hat es damals definitiv nicht gegeben. (bt)