Liga-wer? Hierzulande kennt kein Schwein den italienischen Rockstar Ligabue. Das wollen wir ändern! Wenn wir an gute Rockmusik denken, kommen uns sofort England oder die USA in den Sinn. Kratzen wir uns kurz am Kopf, fällt uns vielleicht auch noch der ein oder andere heimische Künstler ein. Das war's dann aber auch schon. Dabei lohnt sich der Blick über den Tellerrand allemal. Und weil endlich Sommer ist, schauen wir ins liebste Urlaubsland der Germanen. Bella Italia hat nämlich wahrlich mehr zu bieten als fragwürdige Casting-Tenöre oder den ewig abgenudelten Eros Ramazzotti. Beim diesjährigen ESC hat uns schon Raphael Gualazzi mit seiner Jazz-Nummer "Madness of Love" begeistert. Doch heute geht’s nur um den waschechten Rocker Ligabue.
Zugegeben, Luciano Ligabue ist nicht gerade das, was man einen aufstrebenden Nachwuchskünstler nennen würde. Dafür hat der Tausendsassa aus der Emilia-Romagna schon viel zu viele Jährchen auf dem Buckel. 51 sind es präzise, aber die Zeit hat er gut genutzt. In erster Linie wohl, um Lebenserfahrung zu bekommen. Denn ehe er 1990 mit nicht mehr ganz zarten 30 Jahren sein erstes Soloalbum "Ligabue" veröffentlichte, verdiente er seine Lire als Mechaniker, Buchhalter, Kaufmann, Radiomitarbeiter, Gelegenheitsarbeiter, Promoter und sogar als Gemeinderat von Correggio. Ob es diese vielfältigen Erlebnisse waren oder doch eher das aufreibende Leben als Rockstar, die ihm die malerischen Falten ins kantige Gesicht gebügelt haben? Egal, jedenfalls passt die markante Visage perfekt zu seiner rauen Stimme, die mit nur poco italienischem Schmelz die harten Gitarrenpassagen begleitet. Wie sagte eine Freundin, die Ligabue in ihrer Lieblings-Espressobar auf DVD entdeckt hat? "Lässiger als Adriano Celentano und meilenweit entfernt von der U2-artigen Betroffenheit eines Zucchero." Das trifft's schon ziemlich gut, sie hat nur noch "sexy" vergessen!
Während er hier über Geheimtipp-Status noch nicht herausgekommen ist, gilt Ligabue in seiner Heimat absoluter Megastar. Anders lässt sich sein Auftritt 2005 auch nicht erklären. Am 10. September gab er auf dem Flugplatz von Reggio nell’Emilia das größte Konzert eines Einzelkünstlers, das je in Europa stattgefunden hat. Über 180.000 Fans jubelten ihm dabei zu und beobachteten staunend, wie er zwischen vier Bühnen hin und her wechselte.
Man tut ihm sicherlich nicht unrecht, wenn man Musik als seine große Leidenschaft bezeichnet – 15 Alben untermauern diese Theorie eindrucksvoll. Allerdings erschöpft sich sein Mitteilungsbedürfnis in gepflegtem Rock noch lange nicht. Ligabue ist ebenso als Schriftsteller und Regisseur erfolgreich. 2009 wurde er sogar in die Wettbewerbsjury der 66. Filmfestspiele von Venedig berufen.
Wer also seinen Rockhorizont mal ein wenig erweitern möchte, dem sei die DVD von Ligabues Mega-Konzerts ans Herz gelegt – oder auch seine aktuelle Platte. Die heißt "Arrivederci Mostro!" (Auf wiedersehen, Monster!) und läuft in der SdR-Redaktion derzeit auf und ab. Lieblingslied der Autorin: La verità è una scelta (wörtlich: die Wahrheit ist eine Möglichkeit – vielleicht meint er aber eher: Es gibt mehr als nur eine Wahrheit!?). Auf einen heißen Sommer! (cm)