Wer den Luxus genießt, ein kleines, aber feines Venue quasi direkt vor der Tür zu haben, kann sich ruhig schon einmal auf ein musikalisches Blind Date einlassen. Das dachte sich am 9. August auch unser Autor Jan Schütz und erlebte im Bremer Magazinkeller den Auftritt von A Wilhelm Scream:
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bis zu jenem Abend noch nie etwas von A Wilhelm Scream gehört hatte. Genauso wenig wie von ihrer Heimat New Bedford, Mass., einem beschaulichen US-Ostküstenstädtchen, das bisher höchstens mit der Kulisse für Melvilles Moby Dick angeben konnte. Nuno Pereira ("Gesang"), Trevor Reilly (Gitarre), Mike Supina (Gitarre No. 2), Brian Robinson (Bass) und Nick Angelini (Drums) könnten das in Zukunft vielleicht ändern.
Zunächst in wechselfreudiger Besetzung unter den Bezeichnungen Koen und Smacking Isaiah unterwegs, einigte man sich vor neun Jahren auf den bis heute bestehenden Bandnamen, der von einem Soundeffekt herrührt, der seit den 50er Jahren in etlichen Hollywoodstreifen zum Einsatz kam. Und die Schrei-Assoziation passt dem Quintett genauso angegossen wie William Shatner der gelbe Frotteepyjama.
Brachiale Shouts und Vocals weit jenseits des Tempolimits – da ist Pereira, dessen schlabberiges Basketballtrikot mich ein wenig an die Suicidal Tendencies erinnert, voll in seinem Element. Normale Gesangsparts gehören weniger zu seinen Paradedisziplinen, sind an diesem Abend aber auch eher Mangelware. Während sich auch Gitarrist Reilly und Bassist Robinson immer wieder vokal beteiligen, produzieren sie mit den zwei verbleibenden Instrumentalisten einen treibenden, druckvollen und extrem energetischen Mix zwischen Hardcore und Punk, der immer wieder von Riffs der Maiden-Schule untermalt wird und, passend zu den Lyrics, oftmals seinem eigenen Rhythmus davongaloppiert. Was unter anderem dazu führte, dass einige Stücke des letzten Albums "Career Suicide" (2007), die der Band zu lahm erschienen, kurzerhand gegen schnellere Komposition ausgetauscht wurden. Faster, Harder,...!
Apropos schnell und hart: Die direkten Einstiege in die Songs sind ganz nach dem Geschmack der etwa zwölf Zuschauer, die sich vor der Bühne des Magazinkellers schnell zu einem ununterbrochenen "Pogomerat" vereinen. Die restlichen 90 Besucher, mich eingeschlossen, beobachten das wilde Spektakel lieber aus sicherer Entfernung – sofern man davon bei ca. sechs Metern überhaupt sprechen kann. Denn der Raum bietet ungefähr so viel Platz wie das Wohnzimmer eines geräumigen Einfamilienhauses. Aber selbst wir Zaungäste schaffen es nicht, uns gänzlich der Energie der Bühne zu verschließen. Leider machte es mir mein mangelndes Multitasking ziemlich schwer, gleichzeitig irgendwie im Takt zu bleiben und Stücke zu zählen. Insofern sind die gespielten 15 Songs nur ein Schätzwert. Das immense Tempo der Songs und die fast vollständig fehlenden Zwischenansagen – bis auf kurze, knackige "thank yous" passiert da nicht viel – erhöhen die gefühlte Anzahl allerdings auf mindestens 30. Mangels Setlist kann ich auch nur ein paar Titel rekapitulieren: "Famous Friends and Fashion Drunks", "Die While We’re Young", "The King Is Dead" und "I Wipe My Ass With Showbiz" waren aber auf jeden Fall dabei. Einzige Zugabe: "Hike", von Pereira als "shortest song ever" angekündigt. Ein Statement, das ich nur bestätigen kann: Das Ding dauert keine ganze Minute! Diesmal nicht nur gefühlt, sondern in Echtzeit. Und ebenfalls in Echtzeit sitze ich bereits eine gute Stunde später wieder bequem auf meiner Couch und versuche mich nach so viel Tempo im Prinzip der Entschleunigung. (js)