Zugegeben: Die Zeiten als ihre Kassetten endlos durch meinen Walkman genudelt wurden, sind lange vorbei. Aber wenn eine Band wie Bad Religion auf 30 Jahre-Jubiläumstour geht und dann noch in Reichweite Station macht, ist der Konzertbesuch natürlich Pflicht. Also hieß es am 9.Juni für Jan Schütz das Band-Tee (sprich: Tie) aus dem Schrank gekramt und rein in den Zug Richtung Norden. Ziel: das Hamburger Dock's.
Bei Ankunft gleich die erste dicke Überraschung. Der Typ, dem ich im Auftrag meines verhinderten Kumpels sein Ticket übergeben sollte, war älter als ich! Ausnahme? Pustekuchen! Statt der eigentlich erwarteten Masse an pubertierenden Skater-Boys und -Girls lag ich mit meinen angekratzten Dreißigern noch eher im Alters-Mittelfeld. Überhaupt sah das Publikum erfrischend "normal" aus. Jeans- und T-Shirt-Träger statt alternativer Modeopfer mit Röhrenjeans und Wollmütze. Sogar das eine oder andere Paillettenkleid wurde gesichtet – auch wenn das doch vielleicht ein wenig zu viel des Guten für diese Umgebung war.
Zu Beginn belagerte ein Großteil der 1200 Besucher (= ausverkauft) erstaunlich entspannt die Biertheken und den Merch-Stand. Manche Dinge ändern sich eben auch mit fortgeschrittenem Alter nicht. Während die Leute sich mit kühlem Pils und einem T-Shirt ihrer Lieblingsband aus Jugendtagen versorgten, heizte auf der Bühne die Luxemburger Newcomer-Combo "Eternal Tango" ein. Die Jungs absolvierten ihren halbstündigen Pflichtteil durchaus passabel bis gut. Aber man konnte doch merken, dass die Leute eigentlich nur wegen der Kür hier waren. Ist halt schon ein wenig komisch, wenn das Publikum im Schnitt locker zehn Jahre älter ist als die Band.
Das Verhältnis wurde dann aber schnell wieder gerade gerückt, als um kurz vor neun BR-Frontmann und Hochschulprofessor Greg Graffin, im schlichten schwarzen Polo, und seine Bandkumpels im Licht ihres berühmten "Crossbuster-Logos" die Bühne betraten. Alle vier haben mittlerweile die magische 40 weit hinter sich gelassen. Wer nun aber vier Punk-Opas befürchtet hatte, wurde gleich mit dem Opener "Do what you want" vom '88er-Album "Suffer" eines Besseren belehrt. Kraftvoll, zügig und anprangernd, als wäre ihr erster Auftritt als Anheizer für Social Distortion gestern gewesen, ging's dann auch prompt mit "Overture" und "Sinister Rouge" weiter, beide vom sechs Jahre alten "The Empire Strikes Back"-Album.
Eine kurze Begrüßung und los ging die Reise durch 14 (!) Studioalben. Geht man nach dem Applauspegel, war "A Walk" das erste Publikums-Highlight des Abends. Das passte auch zum Gesamteindruck. Je älter, desto besser. Die Leute (mich eingeschlossen) waren hauptsächlich gekommen, um die Sachen aus ihrer Jugend zu hören. So wurden Perlen wie "Generator", "Atomic Garden", "No Direction", "Suffer“ oder "I Want to Conquer the World", allesamt aus den späten Achtzigern, dankend angenommen und frenetisch mitgegrölt – was bei Bad Religion-Texten nicht immer einfach ist! Schön auch, dass mit "Part III" oder "Fuck Armageddon...This Is Hell" selbst Songs von ihrem Debut-Album vertreten waren. Während des Konzerts konnte man im Innenraum ab und an sogar Circle-Pits und Crowdsurfer erblicken – wie gesagt manche Dinge ändern sich eben nicht. Alles in allem ein (fast) waschechtes Punkrock-Konzert also, das leider bereits nach knapp 90 Minuten und einer 3-Song-Zugabe ihrer größten Hits "Punk Rock Song" und "21st Digital Boy" sowie "Sorrow" schon wieder Geschichte war.
Fazit: Frei von jeglichen Klischees haben die Kalifornier einmal mehr bewiesen, dass Punkrock nicht an roten Haaren, Nietengürteln und Tattoos zu messen ist. Manchmal braucht es nicht mehr als Gitarren, Bass, Schlagzeug und einen Frontmann, der etwas zu sagen hat. Schade nur, dass es so schnell vorbei war. Auch wenn sie in der Zeit sage und schreibe 28 Songs durchgehauen haben, hätte es wohl nicht nur für mich noch eine ganze Weile so weiter gehen können. Na dann auf 30 weitere Jahre "f***ing punk rock"!
Wer nicht dabei war. Hier gibt’s noch mal die komplette Setlist vom Konzert: Und als Bonbon dabei: Ein Mix aus verschiedenen Performances der einzelnen Songs! (js)