Sting ist mal wieder da mit einer "neuen" Idee... er taucht seine Nummern in orchestrale Sauce und nennt das ganze "Symphonicities". So fürchtet man jedenfalls und denkt unweigerlich an mehr oder minder gescheiterte Experimente wie Paul McCartneys "Liverpool Oratorio", Deep Purples "Concerto for Group an Orchestra" oder Eberhard Schoeners "Short Operas". Sie alle wollten zusammen bringen, was nicht so recht zusammen gehört: Pop- oder Rockmusik und Orchesterklang vergangener Jahrhunderte; die meist simplen Strukturen anglo-amerikanischer Songs und die pathetische, komplizierte Welt europäischer Symphonik; U und E, oder was auch immer... Unser Chef war im Konzert und hat sich ein eigenes Bild gemacht:
Kann das also gutgehen, was da gleich in der Frankfurter Festhalle startet? Die akkuraten Stuhlreihen könnten eigentlich auch in der Alten Oper stehen, nur zwei Kilometer von hier. Das Royal Philharmonic Concert Orchestra aus London betritt bei gedämpfter Beleuchtung die Bühne, das gepflegte Publikum zwischen 30 und 60 applaudiert freundlich. Jetzt kommt die Band, die vor dem Orchester Platz nimmt. Von den sieben, acht Leuten kennt man die meisten schon – zum Beispiel den Argentinier Dominic Miller, Stings Leib- und Magengitarristen. Wozu eigentlich ein Orchester, wenn da so eine Band sitzt... Hoppla, ganz beiläufig ist der Star des Abends auf die Bühne geschlüpft. Sting alias Gordon Matthew Sumner aus dem Norden Englands hat (erst mit Police und seit den 80er Jahren solo) der Welt Hits geschenkt hat wie "Roxanne" oder "Every Breath You Take". Klar ist er älter geworden, aber für 59 immer noch gut in Form: bauchlos, drahtig, fast etwas dürr sieht er aus. Und schon geht es ohne viel Aufhebens los, Sting wirkt entspannt und selbstsicher. Wie viel Tausend solcher Auftritte hat er eigentlich schon hinter sich?
Nach den ersten paar Songs denkt man: 1. Sehr schöner Sound, für ein Live-Konzert ziemlich klar und (hört hört!) die Lautstärkeregler nicht so absurd weit aufgerissen, dass es weh tut – wann hat man das bei einem Live-Konzert je erlebt? 2. Sting hat es drauf, der singt ganz locker und kein bisschen schlechter als im Studio; es scheint ihm heute Abend richtig Spaß zu machen, er spult das nicht routiniert runter, sondern erzählt auch etwas zum Hintergrund, zur Entstehung der Songs. Das kannte man von ihm so noch gar nicht. 3. Er macht nicht auf Supermann, vor dem die anderen Musiker einen Diener machen müssen, sondern will zusammen mit dieser Truppe einfach gute Musik machen.
Klar, genau das würden viele bezweifeln. Sting polarisiert ja wie kaum ein anderer aus der Musikwelt, Richard Wagner vielleicht ausgenommen. Arrogant sei er, eingebildet, kehre den Feingeist heraus usw. Aber wenn er immer mal wieder zur Gitarre greift (eine akustische, die sieht so klein aus, ist das vielleicht eine Oktavgitarre?), oder zur Mundharmonika, wenn er im Refrain von "When We Dance" der einzigen, super-präsenten Backgroundsängerin Jo Lawry die erste Stimme überlässt, wenn er den wachsenden Applaus entgegen nimmt, dann muss man sagen: Er kommt ungekünstelt rüber. Ist halt ein ganz Großer, als Musiker wie als Songschreiber.
So, und was ist nun mit dem Orchester? Man fragt sich schon, ob einem viel gefehlt hätte ohne diesen Klangkörper. Naja, ein klassisches Orchester durch Lautsprecher klingt eigentlich nie richtig gut. Oder haben sie es einfach so gut in den Sound eingebunden, dass die Songs klingen wie immer? Viele Instrumente kann man sehen, aber selten hören, z.B. die Holzblasinstrumente. Und wer die alten Aufnahmen der Hits gut im Ohr hat, merkt: Die Streicher legen vor allem die Klangflächen hin, die auf den Platten die Synthies machten. Und wenn es mal richtig orchestral wird wie bei "Russians", dann gleich mit viel Getöse alla Star Wars und einem wild fuchtelnden Dirigenten.
Andererseits, "Englishman in New York" mit live gezupften Geigen und einer echten Klarinette als Solo-Instrument (anstelle des Sopran-Sax in der Originalaufnahme) klingt schon super! Und besonders bei den Balladen, wie z.B. "Fields of Gold", wird es echt warm ums Herz, auch dank Orchestersound.
Unterm Strich: ein gelungener Konzertabend mit einer tollen Auswahl von Hits aus 30 Jahren, von Sting und Kollegen relaxed und inspiriert gespielt. Das Orchester war ein schönes Gimmick, konnte aber nur teilweise seine besonderen Qualitäten in Szene setzen. Je länger es dauerte und die unvermeidlichen Hits aufgerufen wurden, umso mehr setzte sich die gewohnte Atmo, der "normale" Sound eines Pop-/Rockkonzertes durch. Das allerdings auf Top-Level.
Übrigens, das mit dem Orchester ist auf Stings Studio-Produktion "Symphonicities" ganz anders. Da kommt es viel mehr zum Zug und kann seine besonderen Stärken hören lassen. Wohl auch aus diesem Grund ist die Songauswahl deutlich anders als im Live-Konzert. Reinhören ist auf jeden Fall zu empfehlen. (jrm)