Musik ist für viele von uns essentiell und ein ständiger Begleiter im Alltag. Wir hören sie im Auto und auf der Bahnfahrt. Und selbst beim Reden begleitet sie uns – nicht umsonst heißt es "Sprachmelodie". Doch wie ist das für Menschen, die sie nicht (mehr) hören können, die Töne unseres Lebens? Jacky Pitz hat's herausgefunden:
Tagtäglich verlassen wir uns auf unsere fünf Sinne und nehmen sie als selbstverständlich hin. Auch wenn der Gehörsinn oftmals hinter dem Sehen zurücksteht, fehlt er erst einmal, dann hinterlässt er eine große Lücke in unserem Dasein. Nicht nur der Tagesablauf muss neu strukturiert werden, sondern die gesamte soziale Interaktion bedarf eines Umdenkens. Auch muss man die Kommunikation mit seinem Umfeld neu erlernen. Hier kann es gehörlosen oder hörgeschädigten Menschen eine große Hilfe sein, sich mit richtigen Experten in Verbindung zu setzen.
Wer von Geburt an taub ist, erlebt seine Welt schon von vornherein ganz anders. Die übrigen Sinne werden feiner, man nimmt das Leben wortwörtlich mit dem ganzen Körper wahr. Dass auch Musik eine Kommunikationsform sein kann, ist unumstritten. Und nicht immer sind die Texte ausschlaggebend, um sie zu verstehen und zu fühlen. Schon Herbert Grönemeyer erkannte das und veröffentlichte 1983 sein ergreifendes Lied "Musik nur, wenn sie laut ist".
Alles lässt sich in Vibrationen erfassen: Autos, Schritte oder eben Musik. So ist es absolut nicht verwunderlich, dass es auch professionelle Künstler gibt, die von Schwingungen abhängig sind. Das berühmteste Beispiel für einen hörgeschädigten Musiker ist vermutlich Ludwig van Beethoven, der unter einem starken Tinnitus litt und seine berühmte 9. Sinfonie erst komponierte, als er sein Hörvermögen bereits verloren hatte. Aber auch heute gibt es solche herausragenden Fälle. So scheint der Konzertpianist Junichi Kobayashi in dieser Hinsicht ein Nachfolger Beethovens zu sein. Eine andere Musikerin, Evelyn Glennie, die einen Großteil ihrer Hörfähigkeit durch eine Nervenkrankheit verlor, steht heute trotzdem auf der Bühne. Meist tut sie dies barfuß, um die Vibrationen besser wahrnehmen zu können.
Das größte Problem für Hörgeschädigte ist die eingeschränkte Kommunikation mit Hörenden, denn nicht jeder ist der Gebärdensprache mächtig. Doch auch gehörlosen Menschen kann es durchaus gelingen, sich gesprochene Sprache anzueignen. Trat der Hörverlust erst zu einem späteren Zeitpunkt im Leben ein, ist es nur natürlich, dass solche Menschen sprechen können. Doch wie verstehen sie ihr Gegenüber? In meist jahrelangem Training haben viele das Lippenlesen so perfektioniert, dass kein Unterschied zu erkennen ist. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist der Musiker Marko Vuoriheimo mit seiner Hip-Hop-Band Signmark. Durch perfekte Synchronisation ist es ihm möglich, zeitgleich mit seinem rappenden Mitstreiter in Gebärdensprache zu performen.
Signmark macht sich auch für die Rechte von Gehörlosen stark und ist bestrebt, eine andere Sichtweise auf die Behinderung zu etablieren. Er sieht seinen Mangel an gesprochener Sprache nicht als Behinderung, sondern erkennt sich eher in dem Begriff der sprachlichen Minderheit wieder. Für ihn geht es darum, Grenzen zu überwinden, die eigentlich auch gar nicht existieren. Das gleiche Ziel hat sich die "Rock & Pop Schule" in Kiel gesetzt. Dort wird das Fach "Musikunterricht für Hörgeschädigte" angeboten, wie auch ein Ensemble unterhalten, welches Hörgeschädigte und Menschen ohne Handicap vereinen soll.
Im Fernsehen ist es während der Nachrichten mittlerweile schon gängige Praxis, dass in einer kleinen Einblendung ein Dolmetscher für Gehörlose zu sehen ist. Neben den Untertiteln ist dies ein sinnvoller wie auch gern genutzter Dienst, warum sollte er also vor Musik Halt machen müssen? Andreas Bourani hat bereits an einem Projekt teilgenommen, bei dem die Texte zu seiner Musik live auf der Bühne in Gebärdensprache übersetzt wurden. Das stieß auf durchweg positive Resonanz und könnte vielleicht (und sollte) bald ein häufigeres Bild sein. (jip)