Was ist das für ein Mensch, der praktisch sein ganzes Leben dem Schaffen eines Musikers widmet? Eine Frage, die sich auch Annie stellt. Die Enddreißigerin ist mit Superfan Duncan zusammen – wobei das Zusammensein auch schon wieder relativ ist. Duncan hat nämlich exakt eine Leidenschaft und die heißt nicht etwa Annie, sondern Gitarrist Tucker Crowe.
Nick Hornby hat in seinem neuesten Buch "Juliet, Naked" die oberschräge Dreiecksgeschichte zwischen Ex-Rockstar Tucker, seinem größten Anhänger Duncan und der frustrierten Annie aufs Korn genommen. Wir haben für euch reingelesen:
Tucker Crowe, amerikanischer Singer-Songwriter hatte in den 80er Jahren moderaten Erfolg im heißumkämpften Musik-Business, bis er plötzlich 1986 nach einem Club-Gig von jetzt auf gleich völlig abgetaucht ist. Was ist geschehen? Kruden Theorien zufolge, hatte er auf dem Kneipen-Klo eine Art Erscheinung gehabt, die ihn dazu bewegt hatte, sein Musiker-Dasein zu beenden. Über 20 Jahre später wird dieses Ereignis auf dem Web-Portal von einigen durchgeknallten Mega-Fans immer noch heiß analysiert. Für den selbsternannten Ober-Crowologist und Seitenbetreiber Duncan gibt’s kaum ein spannenderes Thema – wenn man von der Vervollständigung seiner Bootleg-Sammlung von Crowes letztem Album "Juliet" mal absieht.
Annie, seit 15 Jahren Frau an seiner Seite, hat so langsam ein gewisses Verständnisproblem. Sie hasst ihr tristes Leben in dem nordenglischen Kaff Gooleness und außerdem ist ihre biologische Uhr heftig am Ticken. Doch Familienplanung oder auch nur Sex sind für Duncan völlig indiskutabel, schließlich gibt’s noch viele Mysterien rund um Tucker zu ergründen. Dann passiert eines Tages die Sensation: Duncan erhält die Demo-Version des Juliet-Albums – eine rohe, unfertige Schrammelei der großartigen Songs. Das ist zumindest Annies Meinung zu "Juliet, Naked". Duncan ist entsetzt. Er findet die nackte Variante erheblich genialer und veröffentlicht eine hymnische Rezension auf seiner Fan-Page. Annie legt mit einem vernichtenden Verriss nach. Die Beziehung scheint endgültig am Ende. Dann bekommt Annie eine E-Mail von jemanden, der sich endlich verstanden fühlt. Tucker Crowe himself meldet sich zu Wort – und die Story nimmt endgültig Fahrt auf. In zahlreichen Mails erzählt er von seinem Leben, das weit weniger spektakulär verlaufen ist als seine Fans annehmen. Wenn man von den diversen gescheiterten Ehen und zahlreichen Kindern mal absieht. Ein echter Womanizer war und ist er schon – das ist aber auch das einzige Rockstar-Klischee, das er ernsthaft bedient und das er selbstkritisch mit "all musicians are assholes" kommentiert. Eine seiner ältesten Töchter lotst ihn eines Tages nach England. Nach einem Krankenhausaufenthalt landet er schließlich bei Annie in Gooleness und sorgt für reichlich Wirbel in ihrem Leben.
Wie es ausgeht? Wird nicht verraten! Nur soviel: Die Lektüre lohnt sich. Hornby hat mal wieder eine haarsträubende Geschichte aus dem Ärmel geschüttelt – in der mit reichlich britischem Humor die seltsame Welt der Rockstars und die noch viel seltsamere Welt der Superfans beleuchtet wird. Das perfekte Buch für alle Musik-Fans an einem grauen November-Wochenende. Kaufen! Lesen!! (cm)