Mit lautem Tatü-Tata und flackerndem Blaulicht rasen mehrere Mannschaftswagen der Polizei über die Kreuzung und brettern, den Breiten Weg überquerend, in Richtung Hauptbahnhof. Schnell das Smartphone gezückt, um die neuesten Meldungen zu checken. Das ZDF Sachsen-Anhalt twittert: "Blockaden in Magdeburg bislang erfolgreich: Hunderte Neonazis sitzen in Zügen fest!" Corinna Würzberger war eine "Studierende gegen Rechts" und berichtet aus Magdeburg:
Es ist viel los an diesem sonnigen, aber eiskalten Samstagnachmittag im sonst so beschaulichen Magdeburg. Die so harmlos klingende "Initiative gegen das Vergessen" hatte erneut zu einem den Holocaust verharmlosenden sogenannten "Trauermarsch" anlässlich des 69. Jahrestags der Bombardierung Magdeburgs am 16.1.1945 aufgerufen. Deshalb zeigt die Magdeburger Zivilbevölkerung heute Gesicht und erhebt die Stimme gegen Rechts. Laut gegen Rechts – wie könnte das besser gehen als mit (Rock-)Musik?
Einen famosen Einstieg bot in diesem Sinne schon am 15. Januar das Bündnis "Studierende gegen Rechts" unter dem Motto "Soli statt Solo", um mit einem lauten Knall auf die kommenden Ereignisse aufmerksam zu machen, dafür zu werben und gleichzeitig etwas Geld für die Nachbereitung zu sammeln. Die Magdeburger Bands Otters Sleep Holding Hands (OSHH) und Pussy con Carne (PcC) spielten zu diesem Anlass großzügig komplett gagenfrei und die Headliner des Abends Captain Capa unterbrachen extra ihre aktuelle Tour. "Wir finden, dass man als Band ganz toll das geben kann, was man am besten kann, das ist bei uns halt ein bisschen Musik machen", kommentierte Captain Capa. Und OSHH ergänzte: "Wir sind hier, weil Nazis kacke sind und wir finden, dass menschenverachtende Ideologien nicht unterstützenswert sind." Bei der Show sparte allerdings keine der drei Bands und jede trug ihre individuelle Note zu einen gelungenen Abend bei. Mit etwas leiseren und nachdenklichen Tönen starteten OSHH mit einem Mix aus elektronischen und Gitarrenklängen. Bei PcC wurde das Tempo dann bereits deutlich angehoben und die vier Pussies sorgten für ordentlich Stimmung. Mit dem zweistimmigen Gesang von Nina und Stephan, den eingängigen Melodien und einer energiegeladenen Show sind PcC eindeutig mein Magdeburger Geheimtipp! Die Audiolithband Captain Capa leitete dann stimmungsvoll in die Aftershow-Party über.
Samstag, 12 Uhr: OB Lutz Trümper (SPD) bei der Eröffnungskundgebung am Hauptbahnhof: "Alle diejenigen, die gekommen sind, um hier friedlich zu demonstrieren, sind in Magdeburg willkommen. [...] Es darf niemals vergessen werden, dass unsere Stadt am 16. Januar 1945 in Schutt und Asche gelegt worden ist [...], weil von uns aus der Krieg initiiert worden ist [...] Um als ganz klares Signal zu sagen: Ihr [die Neonazis] habt hier nichts zu suchen!" Vor der Bühne applaudieren zustimmend zwar nur circa 150 Menschen, aber heute gibt es viele verschiedene Orte und Aktionen, bei denen man seine Beteiligung zeigen kann. Das ist die Strategie dahinter: möglichst viel Raum der Stadt mit friedlichen Kundgebungen und Aktionen besetzen, um den Nazis keinen Raum zu lassen. Aus diesem Grund gibt es nun schon zum sechsten Mal die Meile der Demokratie. Weitere Aktionen und Kundgebungen wurden dieses Jahr zusätzlich im ganzen Stadtgebiet angemeldet, und diese Meilensteinen ergänzen das Programm und die Idee der Meile.
Am Alten Markt steht die kleine "Rock gegen Rechts"-Bühne. Hier treffe ich Teenetus. Die drei Magdeburger spielen schon zum vierten Mal auf der Meile: "Magdeburg ist gespalten und es ist wichtig, die demokratische Seite zu stärken. Auch als Band geht es darum, sich zu positionieren und ein Statement gegen Rechts abzugeben. Und wir merken einfach, dass es zieht." Ich sehe die Jungs zwar zum ersten Mal, bin aber sofort begeistert. Eingängige Melodien, viel Spielfreude und ganz viel Gitarre reißen einfach mit.
Und dann laufen sie doch. Obwohl die Gegendemonstranten durch ausdauernde und friedliche Blockaden alles um drei Stunden verzögern, setzen die Einsatzkräfte der Polizei auf Biegen und Brechen den Aufmarsch der etwa 700 bis 800 Neonazis durch, die mehr als drei Stunden lang ihre menschenfeindliche Ideologie und geschichtsverzerrende Propaganda durch die Straßen grölen können. Dass es möglich ist, Naziaufmärsche erfolgreich zu blockieren, zeigt der Fall Dresden. Hier kündigten die Rechtsextremen für den Februar sogar an, auf ihren üblichen Marsch zu verzichten. Warum funktioniert es dort, aber nicht in Magdeburg? An der musikalischen Seite des Protests kann es jedenfalls nicht gelegen haben. (cw)