Viele Rock-Bands sind heute noch ungemein wichtig, auch wenn die Jahre die Musiker inzwischen rauschbärtig umhertappsen lassen, die Drogen ihre Gehirne zu Smoothies verarbeitet haben oder viele schlicht schon tot sind. Jeder kennt diese Bands: The Beatles, The Rolling Stones, Black Sabbath, Led Zeppelin, Pink Floyd, Queen ... Daniel Kirschey hat sich heute eine herausgepickt: The Smiths. Denn auch wenn die Gruppe in vielen Teilen der Welt gefeiert wird, in Deutschland sind sie anscheinend lange kein Thema mehr.
Es ist 1984, ein kalter grauer Wind weht durch Deutschland. Oder auch nicht. Denn Leggings und neonbunte Puffärmel verätzen Hornhaut und trüben Linsen. Es ist das Jahrzehnt der Geschmacksverirrungen. Modern Talking belegt mit "You're My Heart, You're My Soul" Platz 1 der Deutschen Charts. In der Pop- und Rock-Welt ist vieles bunt, quietschig, fröhlich. Aus den Boxen plärrt ein Synthesizer dem anderen hinterher.
Doch plötzlich verblasst die letzte Synthesizer-Fanfare. Gitarren erklingen – wie viele ist nicht abzuschätzen. Eine Mundharmonika setzt einen Akzent und jäh bricht aus dieser tumultartigen Klangkathedrale die Stimme von Morrissey, dem Sänger der The Smiths. Eine einzigartige Stimme, die melodiös und gleichzeitig elendig klingt. Sie scheint über irgendetwas zu räsonieren.
Das ist und klingt nicht fröhlich. Das ist sogar ziemlich schwer. Hauptverantwortlich dafür sind vor allem die Stimme und die Texte von Morrisey. Der Gitarrist John Marr hingegen unterlegt alles mit rockigen, poppigen Gitarren, die das gegenteilige Gefühl evozieren: eine absonderliche Leichtigkeit. In Verbindung erschafft dies eine Stimmung, die außerhalb der Zeit zu stehen scheint. Zeitlos blitzt der Moment.
Anstatt in seinen Texten ganze Geschichten zu erzählen, begnügt sich Morrissey mit Situationen. Doch Lamentieren ist nicht das einzige, was bei seinen Texten zum Vorschein kommt. Die wären nicht so einzigartig, wenn der beißende Humor von Morrissey nicht immer wieder gekonnt durchblitzen würde.
Doch warum sollten The Smith auch heute noch wichtig oder gar relevant sein? Das ist oberflächlich recht leicht zu beantworten: Es gibt bislang einfach keine Band, die so klingt wie The Smiths. Selbstverständlich ist das nicht der einzige Grund.
Da wäre noch die herausragende Gitarrenarbeit von Marr zu nennen, die erwähnten spöttischen, melancholischen Texte von Morrissey oder die Mischung aus Pop und Post-Punk, die viele Lieder ausmacht. Aber all dies, trifft nicht den Kern der Musik.
Es ist die Stimmung. Wie ein Wanderer kommen und gehen The Smiths, finden ihren Weg in die MP3-Liste oder den CD-Player. Manchmal ist es keine bewusste Entscheidung. Wenn sie auftauchen, lächelt, greint, summt, grübelt man. Gitarren und Stimme erklingen wie Traurigkeit im Sonnenschein. Und dann verschwinden sie wieder. Ab und zu vergisst man sie, dann setzt die Erinnerung wieder ein. Ihre Musik ist aus der Zeit herausgefallen. (dk)