Selbst Nietzsche konstatierte schon: "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum". Wie Recht er doch hatte, verbindet sie Menschen selbst über scheinbar unüberbrückbare (Alters-)Grenzen hinweg. Doch wie genau passiert das? Was war zuerst da, die Emotion oder die Songtexte? Jacky Pitz tellt sich die Frage nach dem musikalischen Pendant zum Huhn und dem Ei.
Die Musik, die wir hören, richtet sich nach unserer Stimmung und unseren Erfahrungen mit ihr. Wir finden uns als Individuum beim Hören wieder und gehören doch gleichzeitig einer großen Gruppe an, mit der wir uns identifizieren können. Durch den Musikgeschmack eines Fremden können wir einfach herausfinden, welche Persönlichkeit wohl dahinter stehen mag, wie wir ihn einzuschätzen haben und was für subjektive Überzeugungen wir in Gesprächen erwarten können. Das ist nicht nur unbestritten, sondern gar wissenschaftlich belegt. Prägend für die eigenen Vorlieben ist das soziale Umfeld in Form von Familie und insbesondere Freunden. Unser Musikgeschmack entwickelt sich in der Pubertät, deutlich abhängig von der Peer Group, ersten sozialen Erfahrungen und stark erlebten Emotionen.
Nach dem zweiten Weltkrieg, in den 50er Jahren, gab es eine weltumgreifende Musikentwicklung. Es war an der Zeit für eine Jugendbewegung, die durch den Rock’n’Roll endlich ausgelebt werden konnte. Die Lyrics wurden immer wichtiger für die Musik, erzählten sie doch von den tiefsten Sehnsüchten der jungen Menschen. Chuck Berry beispielsweise fing den ungestümen Drang der Jugendkultur in seinen Songs ein, weil er aus seiner eigenen Vergangenheit berichtete. Er prägte den Car-Sound und erzählt von rastloser Mobilität. Andere Kollegen unterstützten die von der Jugend ohnehin schon gelebte Rebellion gegen Regeln und Konventionen. Denn entgegen des Verbots vieler Eltern, hörten ihre Kinder dennoch Rock’n’Roll und brachten ihren Unwillen zur Anpassung damit zum Ausdruck. Festgehalten unter anderem in "Rock around the clock" von Bill Haley & The Comets.
Die Aufforderungen zum selbstständigen Denken wurden mit der Zeit immer lauter. Nun richtete sich die Rebellion nicht mehr nur gegen die Eltern, sondern auch die politische Lage wurde angeprangert. Zu Beginn der Punk-Geschichte in England gaben die Sex Pistols schon ungeschönt zu verstehen, was sie von der Politik ihres Landes hielten. Ihre Hörer nahmen es sich anschließend zu Herzen und rebellierten gegen das Establishment.
Bei Songtexten geht es immer um eine Identifikation der eigenen Situation. Die Erkenntnis, dass man mit seinen Gedanken nicht alleine ist und verstanden wird, stärkt das Selbstvertrauen und ermöglicht vielen Menschen, die akute Lebenslage besser meistern zu können. Dabei muss es nicht immer um Rebellion gehen, denn auch ein einfacher Satz über Familie, Freundschaft oder Liebe kann uns dabei helfen, mit lang gehegten Gedanken abzuschließen oder sie zu verwirklichen.
So nimmt man Worte in sich auf, verarbeitet sie und verändert sich vielleicht sogar dadurch. Ein Zitat aus Alice im Wunderland drängt sich hier förmlich auf, so passend ist es als Schlusswort: "I knew who I was this morning, but I changed a few times since then" (jpi)